Die DDR und der RGW: Zwischen Hoffnung und Angst

Die historisch gewachsenen Abhängigkeiten vom Handel mit der Sowjetunion lassen sich nicht schnell auflösen / Gefahr droht auch durch den Wegfall sicherer Märkte im Osten  ■  Von Steffen Uhlmann

Als Ministerpräsident Hans Modrow seine Sachen packte, um zur Tagung des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) nach Sofia zu fliegen, fand er noch Zeit für ein kurzes Statement: Die sozialistische Wirtschaftsgemeinschaft müsse nun endlich zu einer neuen Qualität in der Zusammenarbeit kommen. Solcherart Absichtserklärungen sind von den verschiedenen Regierungsverantwortlichen der beteiligten Länder seit Jahr und Tag zu hören.

Außer dem angekündigten tschechischen Antrag auf Auflösung des RGW und dem Dementi nur ein paar Stunden später läßt dabei noch eine andere Ankündigung aufhorchen, diesmal aus Moskau. Die Sowjetunion fordert, daß der Handel zwischen den Ländern künftig auf der Basis einer frei konvertierbaren Währung abgewickelt werden müsse.

In der DDR hat diese Verlautbarung gemischte Gefühle hervorgerufen. Hoffnungen, aber auch Ängste machen sich daran fest, denn mehr als zwei Drittel aller Außenhandelsgeschäfte werden mit den anderen RGW-Ländern abgewickelt. Und damit beeinflussen die dortigen Reformbemühungen zur Beseitigung der teilweise chaotischen wirtschaftlichen Zustände ganz unmittelblar die Entwicklung in der DDR.

Fachleute sprechen schon seit langem von einem regelrechten Wirtschaftskrieg, der zwischen den Ländern unter der Oberfläche tobe. Nun ist er auch öffentlich geworden. So kommt auch die Ankündigung aus Moskau keineswegs überraschend. Die Sowjetunion, mit einem Anteil von 40 Prozent am gesamten Handelsgeschäft der mit Abstand größte Partner der DDR, drängt schon seit geraumer Zeit auf einen gemeinsamen Comecon-Markt mit einer frei konvertierbaren Währung.

Die DDR hat sich bislang dagegen gewehrt. Sie befürchtet durch den freien Markt einen zu großen Aderlaß ihrer eigenen Wirtschaft. Den würde die ohnehin schon angeschlagene Gesellschaft nicht mehr verkraften. Statt „mehr Markt“ hat sie darum immer wieder „mehr Planmäßigkeit“ postuliert. Sie hat sich damit nicht durchsetzen können, weil alle vernünftigen Ansätze letzlich in einem Dickicht von Bürokraten erstickt worden sind. Mehr noch: Die geforderte Planmäßigkeit hat in der Vergangenheit immer weniger funktioniert, und selbst der kommerzielle Handel ist mehr und mehr zu einem vorsintflutlichen Tauschhandel pervertiert. „Handel mit konkreten Gebrauchswerten“ heißt das im offiziellen Sprachgebrauch.

Dahinter verbirgt sich das Ansinnen, Waren, die sich auch auf dem kapitalistischen Markt verkaufen lassen, nur gegen gleichwertige Produkte zu tauschen: Bulgarische Pfirsiche gegen polnischen Steinkoks, deutsche Möbel gegen sibirisches Schnittholz, so heißt seit langem die Devise.

Sollte nun eine frei konvertierbare Währung als Mittler zwischen Produzent und Konsument beziehungsweise den Handelspartnern eingesetzt werden, würde das den Austausch erleichtern. Auf den ersten Blick könnte das der DDR nur recht sein. Sie wäre damit in der Lage, ihre Produktivitätsvorteile gegenüber den anderen Mitgliedsländern in „hartes“ Geld umzumünzen, das sie zur Tilgung ihrer Verbindlichkeiten bei westlichen Banken (20,6 Milliarden Dollar) so dringend braucht. Und bei einem aktuellen Handelsbilanzüberschuß von etwa drei bis vier Milliarden Valuta-Mark allein gegenüber der Sowjetunion käme sofort ein hübsches Sümmchen zusammen.

Aber solche Hoffnungen könnten sich alsbald als Milchmädchenrechnungen erweisen, denn Freikonvertierbarkeit bedeutet auch völlige Öffnung des gesamten RGW für den Weltmarkt. Und damit muß sich die DDR-Wirtschaft auch in diesen Ländern ganz anderen Konkurrenzbedingungen stellen. Die Härte des Weltmarktgeschäfts würde ungefiltert über den RGW-Handel hereinbrechen.

Es droht damit die Gefahr, daß die DDR-Wirtschaft ihre gesicherten Absatz- und Bezugsmärkte einbüßt. Denn der Handel verlöre seine bislang planmäßig erzwungenen Automatismen, weil nun der jeweilige Kunde seinen Partner weltweit suchen könnte. Mit den Produktivitätsvorteilen wäre es ohnehin vorbei. Und damit sind dann auch keine Preisvorteile mehr durchsetzbar, von denen die DDR jahrelang profitieren konnte.

Schließlich erwachsen mit der frei konvertierbaren Währung auch ganz andere Kaufansprüche an die DDR selbst. Gegenwärtig hat der Maschinenbau einen Anteil von etwa 66 Prozent am DDR-Export in die sozialistischen Länder. Nach den Vorstellungen der DDR soll das so bleiben; ihre Handelspartner sehen das aber anders. Sie wollen vor allem den Lieferanteil an Konsumgütern erhöht haben. Nur ist die DDR damit hoffnungslos überfordert, besteht doch im eigenen Lande ein akuter Mangel an diesen Gütern. Die leeren Regale haben die inflationären Tendenzen beschleunigt und die dringend notwendige Leistungsmotivation beschnitten. Die DDR ist bei Konsumgütern, jedenfalls bei den hochwertigen, schlicht ausverkauft.

Ein ganzes Bündel von Gefahren also, die der Wirtschaft des Landes drohen. Dennoch wird die DDR mit diesen neuen Bedingungen leben müssen. Ein Rückzug aus dem Ostgeschäft ist unmöglich. Die historisch gewachsenen Abhängigkeiten, vor allem von der Sowjetunion, und die damit verbundene Ausrichtung der Industrie auf die Bedürfnisse des Landes haben die DDR fest an das Schicksal der Sowjetunion gebunden. Fast alle Rohstoffe kommen aus der UdSSR: über die Hälfte der Steinkohle, über 80 Prozent des Erdöls, 99 Prozent des Schnittholzes, das gesamte Erdgas und ein sehr großer Anteil an Eisenerzen und Buntmetallen.

Umgekehrt wären fast alle Industriezweige der DDR ohne den Absatzmarkt Sowjetunion nicht überlebensfähig - vom Schwermaschinenbau bis zur Leichtindustrie.

Für 1990 ist ein Umsatz in Höhe von 61 Milliarden Valuta -Mark geplant. Als sich der stellvertretende Außenhandelsminister Schwierz im Dezember anläßlich der Unterzeichnung des Handelsprotokolls der Presse stellte, sprach er von einem optimalen Kompromiß zwischen den beiden Ländern. Eine gehörige Portion Zweckoptimismus schwingt in diesen Worten mit. Der Druck der sowjetischen Partner wächst. Immer mehr Betriebe in der UdSSR, zur Zeit nahezu 11.000, erhalten ihre wirtschaftliche Eigenständigkeit, und damit wachsen die Forderungen und Wünsche an ihre Handelspartner. Für den DDR-Außenhandel, so der Minister floskelhaft, komme es darauf an, sich besser darauf einzustellen.

Was das auch immer heißen mag: Die Zeiten billiger Geschäfte sind, wenn auf der Sofioter Rats tagung wirklich Reformen beschlossen werden, für die DDR vorbei.