UNTERNEHMEN BAHNER

■ Frontbericht vom Moskau-Feldzug des Berliner Wohl-Täters und Schuhhaus-Erben Dietrich Bahner

Letzten Donnerstag holte der Berliner Unternehmer und Ex -CDU-Politiker Dietrich Bahner zum neusten Wohltätigkeitscoup aus: Der „gute Mensch von Berlin“ (siehe taz vom 4.1.) ließ rund hundert Taxis, Trucks und Kleintransporter in Dreilinden gen Moskau starten. Im Auftrag des Bahner-Vereins „Europäische Friedensinitiative Deutsche für Deutsche“ sollten damit Sachspenden, die kürzestfristig unter Berliner Unternehmern und in der Bevölkerung für SowjetbürgerInnen gesammelt worden waren, um damit „Dank an Gorbi“ zu zollen, unter russische Weihnachtsbäume gelangen. Wie gewohnt bei den Bahner-Taten, ging auch diesmal wieder vieles daneben.

Verschneite Steppen, Birkenwälder, Strohmieten wie Minarette, Wildgänse rauschen...

Sechzig Daimler huschen durch die frühen Morgenstunden, dezent eskortiert von Blaulicht, „Milizija“. Taubengraue Kleintransporter, Pferdewagen und Fiats drücken sich rechts und links an den Straßenrand. Doch der Treck kommt nur langsam voran, alle naselang kommt es zu notgedrungenen Pinkelpausen. Zeit genug für die zahlreichen Fußgänger, auf dem Weg zur Arbeit die großformatigen Aufkleber zu entziffern: „Unterstützung und Dank für Gorbi“ - auf deutsch und in kyrillischer Schrift. Wer in Polen könnte da noch mißverstehen und wer übersehen, was freundlich-grün im Kleingedruckten steht: „Deutsche für Deutsche“.

Vor Fahrtantritt fielen klare Worte: „Was die Wehrmacht nicht geschafft hat, schaffen wir in dreißig Stunden.“ In der Zentrale der Berliner Taxiinnung hat man den Ernst der Lage erfaßt. Und während sich die Kollegen in der schwarzen Lederkluft vor allem für die 500 Mark Anzahlung interessieren, stöhnt der Chef hinterm Schreibtisch: „Un det schon wieda im Winter.“

Berlin - Warschau - Brest - Minsk - Smolensk - Moskau: So lautete im Winter 1941 der Einsatzplan des SS-Brigadeführers Nebe im Weltanschauungskrieg. Der Erfolg des „Unternehmens Barbarossa“ konnte sich sehen lassen: 300 verbrannte Dörfer in Weißrußland und Millionen von Toten unter der Zivilbevölkerung schienen viele hundert Kilometer neuen deutschen Lebensraum im Osten zu bedeuten.

Am Nachmittag des 4. Januar 1990 staut sich der Konvoi der Taxis, Trucks und Ambulanzen am Übergang Dreilinden um die Plastiktüten voller Köstlichkeiten, vom fleißigen Berliner Volk in aller Kürze zusammengesammelt. Denn alles sollte nun ganz anders werden. Das Unternehmen nennt sich heute „Europäische Friedensinitiative e.V.“, den Einsatz gibt ihr agiler Chef Dietrich Bahner.

Die Folkloretruppe „Troika“ spielt zum Tanz auf, doch die Stimmung bleibt gedrückt. Denn die guten Gaben, die am 6. Januar pünktlich zur russischen Weihnacht den Roten Platz am Kreml erreichen sollen, fallen trotz allen Einsatzes karg aus. Die Bullis und Kombis der Berliner Taxibetriebe sind auch noch zum Abfahrtstermin halbleer, und so belädt so manch einer der hartgesottenen Rußland-Aspiranten seine Droschke auch schon einmal mit einem leeren Karton, um nicht mangels Spendenmasse zurückzubleiben.

Dietrich Bahner, sportlich und braungebrannt, ficht dies nicht an: Er belädt die acht 30-Tonner nur zu einem Drittel, schnell organisiert er noch vor Abfahrt sechs Tonnen Schokolade, und gegen eine kleine Abfindung von 3.000 Mark sind schnell ein Drittel der Taxis davon überzeugt, daß sie doch lieber zu Hause bleiben. Denn, so Bahner: „Wir stehen ja erst am Anfang. Ich plane mindestens jeden Monat eine solche Fahrt. Es geht uns doch allen um die gute Sache. Da müssen wir bis auf die Knochen ehrlich bleiben.“

Längst hat der Wohltäter seine gute Laune wiedergefunden, larmoyant und nach einer letzten fahrigen Geste durchs Graumelierte knufft er Herrn Alexejew, dem sowjetischen Generalkonsul in Berlin, in die gutgepolsterte Seite: „Werden Sie in Moskau auch so schnell sein wie wir?“ Der lächelt höflich. Er will den eitlen Freuden des Knaben kein Spielverderber sein. Am 22. Dezember letzten Jahres war Bahner zum ersten Mal bei ihm erschienen, und innerhalb von nur zehn Tagen wurde ein Novum in der deutsch-sowjetischen Beziehung kreiert: Das Blanko-Gruppenvisum für eine unbestimmte Menge von Menschen und Waren.

Die Wagen aber bleiben halbleer. „Ick hab‘ zwee Kisten Plüschtiere - Made in China - im Kofferraum. Det reicht mir“, futtert einer gemütlich am letzten Rührei. Und ein alter Hase erzählt von Bahners letzter Initiative „Deutsche für Deutsche“ im Dezember 1989: „In Leipzig war das nicht anders. Die Droschken waren halbleer, die Leute standen auf der Straße, klatschten und guckten immer auf mein Auto. Die dachten, das wird auch gespendet. Ich also ständig nur: Nee, nee, das is‘ mein Auto!“

In Bahners Abschiedsworten mischen sich währenddessen Zuversicht und Rührung: „Wir haben die Bürokratie überwunden“, pflegt er noch ein letztes Mal sein Steckenpferd, „nun ist es an euch. Wenn ihr in weniger als drei Tagen Moskau erreicht, bekommt ihr einen Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde. Das verspreche ich euch ganz persönlich. Und alle 200 Kilometer wird Pause gemacht. Dann gibt es Kaffee und warmes Essen.“ Das habe ihm der Generalkonsul zugesichert: „Doch erwartet bitte keinen europäischen Standard.“

Das Lebenselixier des Dietrich Bahner ist der Appell. Seit er 1985, als „alternativer Arbeiterführer“ mit seiner „Demokratischen Aktion“ scharf rechts von der CDU bei den Abgeordnetenhaus-Wahlen auf schlappe 1,3 Prozent kam, hat er verstanden, daß der politische Streit nicht zu seinem Gemüt paßt. Denn Herr Bahner liebt das Gute im Menschen und er hat das Glück, nicht nur damit besonders reich beschenkt zu sein, sondern mit seinem Schuhhaus Leiser auch noch über das nötige Kleingeld zu verfügen.

Mit einigen Stunden Verspätung macht sich der Konvoi endlich mit acht Trucks, 65 Taxen und vier (gespendeten) Ambulanzen auf den Weg nach Moskau. Hätte die Ladung auch leicht noch in den acht Hängern Platz gefunden, so sorgt der imposante Troß nun für den Symbolwert. Dem deutschen „Dank für Gorbi“ sollte keine Grenze gesetzt sein, trage dieser doch, wie Bahner drei Tage später im sowjetischen Fernsehen versichern wird, die Verantwortung dafür, daß in Deutschland die Mauer gefallen sei.

Bei Kilometer 10 biegt die erste Hälfte des Friedenstrosses brav in Richtung „Transit BRD“ ab und läßt die Volksrepublik Polen links liegen. Entsprechend gereizt ist die Stimmung schon in Frankfurt/ Oder. Im Innern der Friedenskarawane wechselt schlagartig der Ton, die Pfadfinder übernehmen das Kommando: „Hinter der Grenze macht der Beifahrer die Augen zu, und denn Highlife die Enten!“ Der Ärger über das träge Vorankommen - „Plan geändert, Hose geschissen“ - läßt so manche Alternative zum Konvoi als reizvoll anmuten: „Deswegen ist der Partisanenkrieg so ungleich erfolgreicher“.

Und während die Gesichter müde werden, bleiben die Mienen stolz. „Bahners Personality-Show kotzt uns doch alle an.“ Aber die Knete (1.800 Mark pro FahrerIn), die Abenteuerlust, Moskau sehen: das reicht als Motivation. Und die Freude am Autofahren: die bleibt, vorbei an Warschau, Lublin, Majdanek, bis zur Grenze. Erst an der polnisch-sowjetischen Grenze wird offenbar, worum sich bislang keiner gekümmert hatte: Zwar hat die „Europäische Friedensinitiative e.V.“ so manchen obskuren PR-Fotografen mit auf die Reise geschickt, dafür fehlt es aber an Reisebegleitern. Verschwunden sind die Ladelisten, die Trucks sind ohne Schecks für Diesel -Gutscheine losgeschickt worden, in den Ambulanzfahrzeugen bezweifelt man, daß die kurz zuvor aus Finnland und Schweden herbeigeschafften Wagen überhaupt eine Einfuhrerlaubnis haben. Die Besatzung von „Ambulanz Berlin“ grinst sich eins: „Seit Bahner uns alle paar Tage mit seinen Millionen winkt, bricht der Rettungsdienst langsam zusammen, weil wir nur noch mit dem Geldausgeben beschäftigt sind.“ Die 140 TaxifahrerInnen absolvieren inzwischen einen Schnellkurs in Sachen Selbstorganisation - „Wir brauchen eine systematisch -militärische Planung“ - als dessen Resultat zumindest eines feststeht: Das Unternehmen Guinness-Rekord ist tausend Kilometer vor Moskau gescheitert, und Dietrich Bahner wird am nächsten Tag ohne seine Gaben auf dem Roten Platz vor dem Kreml stehen.

Mit einem Tag Verspätung trifft die Friedenskarawane in Moskau ein, und nur die Verkehrspolizisten werden sich auf ihren Kreuzungen die 24 Stunden stramm um die Ohren geschlagen haben. Die Stimmung hat sich zusehends intimisiert und zugespitzt: „Bahner, der räudige Hund, schlägt sich jetzt gerade die Wampe mit Kaviar voll.“ „Seitdem ick weeß, daß det der Typ is, der an die Altersheime rumjefummelt hat, erwart‘ ick hier gar nix mehr.“

Doch wieder kommt alles anders. Unter den surrenden Kameras, den Umarmungen des „räudigen Hundes“ und den staunenden Blicken der schönen Russin erwärmen sich die Herzen der harten Droschkenkutscher im Nu. Am Abend, nach Kaviar und heißer Dusche und vor dem Monitor des Staatsfernsehens, das den edlen Spender aus dem Westen vor dem Weihnachtsbaum feiert, ist man schon wieder bereit, den Typ Dietrich Bahner unter die soziologische Lupe zu legen: „Der Mann hat in seiner kindischen Eitelkeit genau kapiert, wie der Hase läuft. Daß eine Spende nie so wertvoll sein kann wie der Medienrummel, den man um sie macht.“ Fritz von Klinggräff

Jonny Jacobse