Ökologie mit Taschenratte

Ein neues Regelbuch zeigt den Golfsport in anderem Licht  ■  WIR LASSEN LESEN

Golf ist ein ekelig elitärer Altherren-Sport - für Porschefahrer, Schickimicki-Tanten, aalglatte Advokaten und dickbäuchige Doktores. Golf ist naturschändend und unsozial

-zum Nutzen weniger werden weite Wälder gerodet und die Grüns exorbitant chemisch gedüngt. Diese Vorurteile verlieren an Relevanz, seit das Spiel an breiter Popularität gewinnt und neue Plätze immer häufiger umweltverträglicherer Ersatz sind für vergüllte Landwirtschaftsflächen oder sogar Deponien und Abraumhalden. Jetzt gilt es endgültig umzudenken - dank eines neuen Regelbuches, vom Golf-Pro Tom Watson. Es lehrt uns, daß Golf, „dieses überaus komplizierte Spiel“, weit mehr ist als - so definiert Regel 1.1. - „einen Ball durch einen Schlag oder aufeinanderfolgende Schläge in Übereinstimmung mit den Regeln vom Abschlag in das Loch zu spielen“.

Golf ist tatsächlich auch politisch ein grüner Sport, voll von sozialer und gesellschaftlicher Brisanz, voller sportphilosophischer Tiefgründigkeit, gespickt zudem mit intellektuellen Anforderungen für alle nur erdenklichen Spielsituationen. Zum Beispiel, weil Golf radikal ökologisch ist. „Schon das Abschlagen eines einzigen Blatts kann“, schreibt Watson zum Schutz malträtierter Bäume, „den Raum des beabsichtigten Schwungs verbessern und damit den Regelverstoß vollenden“. Das gibt einen Strafpunkt! Er geißelt den Spieler, der „im Gebüsch wie ein Elefant im Porzellanladen zum Ball trampelt und dabei hinderliche Zweige zerbricht oder biegt.“

Golf ist also vom Wesen her naturorientiert und auch biologisch lehrreich: Was tun, wenn der Ball in einem vom Hund gescharrten Loch liegenbleibt? Straffrei weglegen? Watson berichtet von einer spektakulären Regel-Entscheidung: „Gegrabene Löcher oder Tunnelgänge stammen von ganz bestimmten Tieren wie Kaninchen, Maulwürfen, Murmeltieren und Taschenratten, die Baue anlegen, in denen sie leben können. Da ein Hund keine Löcher macht, um sich einen Bau zu graben, ist ein von einem Hund gekratztes kein von einem Erdgänge grabenden Tier gegrabenes Loch. Folge: weiterspielen! Lerne: ohne biologische Grundkenntnisse keinen Golfplatz betreten!

Golf ist egalitär, nicht elitär: In mehr als 60 Nationen sind die Regeln exakt die gleichen, das, so Watson stolz, „gibt es bei keinem anderen Spiel“. Verantwortlich dafür sind die verbindlichen „decisions“ in Streitfällen - siehe Hund, Birne, Taschenratte - des „Royal and Ancient Golf Club St. Andrews“ in Schottland. Hier, im altehrwürdigen Mekka der Golfer, erscheint alle vier Jahre ein engbedrucktes, Telefonbuch-dickes Regel-Kompendium, das sich wie ein juristischer Kommentar liest. Dabei ist schon Watsons Laien -Buch schwierig: „Anmerkungen zu einzelnen Erklärungen dienen“, so Watson, „erbitte gütigst Vergebung, der Erklärung von Erklärungen.“

Golf fordert also ein hohes intellektuelles Niveau. So muß man sich redlich geistig erarbeiten, warum man einen „im Wasserhindernis hinter einem von Krebsen aufgewühlten Schlickhaufen“ liegenden Ball spielen muß, wie er liegt. Aufklärung: „Nach der Wasserhindernis-Regel gewähren die Regeln keine Erleichterung von dem Haufen.“ Siehe auch: Hund, Murmeltier.

Golf ist friedlich und gewaltfrei: „Beschränkende Normen“ bei den Schlägern müssen sein, sonst könne Golf durch „die Weltraumtechnologie entartet“ werden, denn „ein Rüstungswettlauf hat keinen Sinn.“ Und: wenn der Ball auf der Lochkante liegt, gehört es sich einfach nicht, aggressiv herumzuhopfen, bis er erschüttert reinpurzelt: „Regelverstoß, Strafe!“

Golf verlangt Etikette, gestattet aber sogar dem untergeordneten Caddie, seinen Herrn zu belehren, zu beraten. Das ist schon fast revolutionär, bestehende Verhältnisse umkehrend. Und richtig metaphysisch, gar kybernetisch ist folgende Definition, wo Golf sein Ende findet, am Platzrand: „Aus erstreckt sich von der Auslinie nach oben und nach unten.“

Das ist wichtig für den Bau der Taschenratte.

Bernd Müllender

Tom Watson, Golf-Regeln, Jahr-Verlag Hamburg 1989, 194 Seiten, 29,80 DM.