Erneuter Anlauf im VW-Devisenprozeß

Vor dem Landgericht Braunschweig hat zum zweiten Mal die Hauptverhandlung im Prozeß um den Devisenskandal bei VW begonnen/ Rolle des VW-Vorstandes unklar  ■  Aus Hannover Jürgen Voges

Keine zwei Stunden Verhandlung, verteilt auf zwei Prozeßtage - und schon war im vergangenen Oktober der Prozeß um den VW -Devisenskandal geplatzt. Seit gestern nimmt die Sechste Schwurgerichtskammer des Landgerichts Braunschweig nun den zweiten Anlauf, um jenem großen bundesdeutschen Finanzskandal juristisch zu bewältigen, bei dem der VW -Konzern im Jahre 1987 knapp eine halbe Milliarde DM in den Sand gesetzt hatte. Vor Gericht stehen der frühere Chef der VW-Devisenabteilung Burkhard Junger, der ehemalige Frankfurter Devisenhändler Hans-Joachim Schmidt und drei weitere frühere Mitarbeiter der VW-Devisenabteilung. Der Kammervorsitzende, Rüdiger Schomerus, der im Oktober nach einer Rüge der Verteidigung die Hauptverhandlung wegen Fehlern bei der Auslosung der Schöffen hatte aussetzen müssen, stellt sich auf einen Großprozeß ein.

Die 435 Seiten starke Anklageschrift, für die zwei Braunschweiger Staatsanwälte zwei Jahre und vier Monate lang ermittelt haben, wirft den vier ehemaligen VW-Angestellten fortgesetzte schwere Untreue vor, dem Frankfurter Devisenhändler Junger Beihilfe zur Untreue, allen fünf Angeklagten zudem Urkundenfälschung. Burkhard Junger ist darüber hinaus auch noch eines Meineides angeklagt, den er im Oktober 1987 in einem Zivilprozeß zwischen VW und der ungarischen Staatsbank geleistet haben soll.

Bis in das Jahr 1986 zurück reichen die ersten Meldungen über Riesenverluste der VW-Devisenabteilung. Schon im Februar 1987 verließ der einst so erfolgreiche Chefdevisenhändler Junger den Automobilkonzern. Der Vorstand von VW bestätigte jedoch erst am 10. März, kurz bevor in Wolfsburg die Auslieferung von fünfzig Millionen VW-Autos gefeiert werden sollte, daß man durch Manipulationen in der Devisenabteilung des eigenen Hauses „bis zu 480 Millionen DM“ verloren und Strafanzeige erstattet habe. Nachdem der Konzern dann in der Folgezeit zusammen mit der Staatsanwaltschaft die Devisengeschäfte der vorausgegangenen fünf Jahre durchgeprüft hatte, wurde der Verlust schließlich mit 473 Millionen beziffert. Zur Anklage steht jetzt in Braunschweig allerdings „nur“ ein strafrechtlich relevanter Schaden von 385 Millionen. Die restlichen 88 Millionen an Verlusten hatte die Devisenabteilung bei ganz normalen und legalen Spekulationsgeschäften eingefahren.

Auf etwa acht Millionen DM beziffert die Anklage den Verlust, der dem VW-Konzern durch sogenannte „Abschöpfungsgeschäfte“ seiner Devisenhändler entstanden sind. Bei diesen Geschäften sollen Junger und seine Mitarbeiter der VW-AG Kursgewinne vorenthalten und diese dann mit Hilfe von Hans-Joachim Schmidt und befreundeter Banken selbst kassiert haben.

Der übergroße Teil der in den Augen der Staatsanwaltschaft strafrechtlich relevanten Verluste, 377 Millionen DM, resultiert allerdings aus neun großen Devisengeschäften, bei denen VW Verluste des Frankfurter Devisenhändlers Schmidt untergeschoben wurden. Hans-Joachim Schmidt war der Anklage zufolge bereits Anfang 1985 in große Schwierigkeiten geraten, weil er kurz vor dem damaligen Kurseinbruch des Dollars bei Devisentermingeschäften noch auf einen weiteren Kursanstieg gesetzt hatte. Gegen ein Entgelt von 2 Millionen DM soll Burghard Junger zusammen mit seinen Mitarbeitern daraufhin dem befreundeten Devisenhändler aus der Patsche geholfen haben. Die VW-Devisenabteilung erwarb von Schmidt, der in der Bundesrepublik in großem Umfang als Devisenhändler der ungarischen Nationalbank tätig war, insgesamt 308 Millionen Termin-Dollar zum überhöhten Kurs von etwa 3 DM. Das Ganze lief über mehrere Zwischenstationen und wurde als Handel zwischen VW und der ungarischen Nationalbank kaschiert, die angeblich das Erfüllungsrisiko aus den Termingeschäften abdeckte. Die vermeintlichen Bestätigungen der Nationalbank für diese Geschäfte sollen in der Schweiz auf Originalpapier gefälscht worden sein. Der Dreh mit den immer wieder verlängerten „Geschäften mit Ungarn“ hatte dann erst ein Ende, als im Februar 1987 der erste der Devisen-Kontrakte fällig wurde und die ungarische Nationalbank sich weigerte, an VW zu zahlen.

Immerhin waren die Aufträge aus Ungarn so gut gefälscht, daß VW gegen die Banker in Budapest immer noch auf 270 Millionen DM Schadenersatz klagt. Die Chancen von VW für diesen Zivilprozeß sind allerding bereits durch das Geständnis stark gesunken, das Burkhard Junger im September 1987 nach fünf Monaten U-Haft abgelegt hatte. Junger wurde nach insgesamt 14 Monaten Haft im Juni 1988 gegen eine Kaution von einer Million DM auf freien Fuß gesetzt. Im Gefängnis befindet sich allein noch Hans-Joachim Schmidt, der erst im Mai 1988 von den USA an die Bundesrepublik ausgeliefert worden war.

Insgesamt hat die Devisenaffäre den VW-Konzern fast einen ganzen Jahresgewinn gekostet. Allerdings hat die VW -Devisenabteilung in den Jahren zuvor für den Konzern mehr an Gewinnen erwirtschaftet, als sie schließlich durch die fingierten Ungarn-Geschäfte veruntreute. „In den schlechten Zeiten des Konzerns“, so sagt es der Rechtsanwalt von Devisenhändler Junger, Gundolf Teßmann, „hat als einzige die Devisenabteilung bei VW wirklich Geld verdient.“ Die fünf Leute in dieser Abteilung hätten in manchen Jahren mehr Profit erwirtschaftet als die 150.000 bei VW in der Produktion Beschäftigten. Die VW-Devisenhändler haben dabei nach Meinung des Braunschweiger Rechtsanwalts stets „unter großem Druck des VW-Vorstandes gestanden“. Täglich hätten sie ihre Gewinne an den Vorstand melden müssen. Der VW -Vorstandsvorsitzende Carl Hahn hat allerdings noch auf der VW-Hauptversammlung im Sommer 1987 die Rolle der Devisenabteilung ganz anders beschrieben. Der Devisenhandel des Konzerns habe immer nur „eine Hilfsfunktion“ für das VW -Hauptgeschäft gehabt und sei deswegen auch immer mit dem Unternehmenszweck vereinbar gewesen, erklärte der Vorstandsvorsitzende nach der Devisenaffäre seinen Aktionären.

Die fünf in Braunschweig angeklagten Devisenhändler haben bis auf den ehemaligen VW-Mitarbeiter Hans-Günter Schwarz in ihren Vernehmungen allesamt Geständnisse abgelegt. Rechtsanwalt Teßmann sieht daher auch eine entscheidende Kompomente des Prozesses darin, „die Rolle der VW -Devisenabteilung, die Erwartungen des Vorstandes an die Abteilung herauszuarbeiten“. Hierzu möchte die Verteidigung möglichst hochrangige Vertreter des VW-Konzerns „bis hin zur Vorstandsebene“ als Zeugen hören.