China kündigt Ende des Kriegsrechts an

Keine Rehabilitierung der Dissidenten / Li Peng kündigt „neue Aufgaben“ für die Volkspolizei an / Wiederherstellung der Beziehungen zu den wichtigsten Handelspartnern geht reibungslos über die Bühne / Britischer Gouverneur aus Hongkong erstmals wieder in der Volksrepublik  ■  Aus Tokio Georg Blume

Seit null Uhr chinesischer Ortszeit am heutigen Donnerstag lebt Peking im offiziellen Normalzustand. Die Pekinger Touristen, ob aus In- oder Ausland, dürfen sich freuen. Der Platz des Himmlischen Friedens, der nun zweifellos geschichtsträchtigste Ort des modernen China, wird seinen Bewunderern erneut freigegeben. Das ist das offizielle Ende des Kriegsrechts in Peking. Dann können sich auch die Unerkannten unter den Akteuren des letzten Frühjahrs zurück an den Ort ihrer Handlung wagen.

Li Peng hatte die Studentinnen und Studenten vorgewarnt. Am Mittwoch abend kündigte der Premierminister im chinesischen Fernsehen die Aufhebung des seit dem 20.Mai letzten Jahres in Peking geltenden Kriegsrechts an. Allerdings hatte er kurze Zeit zuvor der bewaffneten Volkspolizei erklärt, welche „neuen Aufgaben“ ihr auch nach Aufhebung des Kriegsrechts zukämen. Sie solle nämlich „wachsam bleiben und hart gegen alle feindlichen Kräfte kämpfen, die versuchen, das sozialistische System in China zu hintergehen“, sagte Li Peng.

Daß Versammlungs- und Demonstrationsverbot für StudentInnen nach dem inzwischen eingeführten Gesetz weiterhin gelten, versteht sich dabei von selbst. Wer sich indessen unter den Exil-Chinesen im Ausland Hoffnung auf eine Rückkehr nach dem Ende des Kriegsrechts machte, wurde ebenso deutlich verwarnt. Noch einmal erklärten die Pekinger Behörden gestern die Regimekritiker Wan Runhan, Yan Jiaqu und Chen Yizi, alle drei führende Mitglieder der oppositionellen Exil -Bewegung, zu „Kriminellen, die mit der Unterstützung reaktionärer Kräfte im Ausland handelten“.

Angesichts des innenpolitischen Symbolwerts verspricht der außenpolitische Gegenwert der Pekinger Entscheidung allerdings umso höher zu sein. „Nachdem sich China Mühe gegeben hat, einen beklagenswerten Zustand zu beenden, muß sich nun auch der Westen bemühen, China nicht in der Isolation zu belassen“, forderte die japanische Staatsministerin Mayumi Moriyama gestern in Tokio die verbündeten Regierungen in den USA und Europa auf. Damit wird sie vor allem in Washington auf offene Ohren stoßen. Brent Scowcroft, der Sicherheitsberater des US -amerikanischen Präsidenten, hatte bereits während seines Überraschungsbesuchs in China im vergangenen Monat die Aufhebung des Kriegsrechts als „wesentlich“ für die Verbesserung der Beziehungen mit Washington bezeichnet.

Für George Bush kommt die chinesische Geste noch vor der Eröffnung des US-Kongresses am 23.Januar gerade zur rechten Zeit. Sie nimmt den Gegnern seiner Öffnungspolitik gegenüber China, die im Kongreß bereits den Angriff gegen diese Linie planten, den Wind aus den Segeln.

Schafft es der US-amerikanische Präsident seine eigenwillige China-Politik durchzusetzen, wäre es den Regierenden in Peking innerhalb weniger Monate gelungen, die nach dem 4.Juni eingeschränkten Beziehungen zu den wichtigsten westlichen Gesprächs- und Handelspartnern in Washington, Tokio und London nahezu vollständig zu restaurieren. Wohl nicht zufällig erwartete man gestern in Peking, am letzten Tag des alten Kriegsrechts, den britischen Gouverneur von Hongkong, Sir David Wilson, zu seinem ersten Besuch in China seit dem Pekinger Massaker.