KGB-Superspione oder kleine Software-Dealer?

Gegen zwei Hacker und einen Ex-Croupier wird seit heute in Celle wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit verhandelt / 90.000 DM sollen die Angeklagten für Daten und Software vom KGB erhalten haben / Der Bundesanwaltschaft aber fehlen „sichere Feststellungen“  ■  Aus Hannover Jürgen Voges

Von einer „völlig neuen Dimension der Spionage“ oder gar einem „zweiten Fall Guillaume“ war allenthalben die Rede, als der NDR vor zehn Monaten erstmals über die geschäftlichen Verbindungen einer hannoverschen Hacker -Gruppe mit dem sowjetischen Geheimdienst KGB berichtete. Das Bundeskriminalamt warnte wenig später „zahlreiche betroffene Wirtschaftsunternehmen und öffentliche Einrichtungen vor weiteren Ausspähungsbemühungen östlicher Geheimdienste“. „Die von den Tätern durch Hacken festgestellten Codes, Passwörter und sonstigen Zugangsberechtigungen“ seien an den KGB gelangt. Nun könne der sowjetische Nachrichtendienst „alle Zugänge“ zu den betroffenen „westlichen Datensystemen beschaffen und einen vollen Zugriff auf die gespeicherten Daten erhalten“. Die Hacker verkaufen das Passwort und anschließend loggt sich Moskau überall ein - so etwa sah auch das BKA diese „neu Variante östlicher Spionage“.

Seit heute stehen in Celle die drei Hauptbeschuldigten des Hacker-Spionage-Falls vor Gericht. Dem 35jährigen Croupier Peter C., dem 28jährigen Markus H. - beide aus Hannover und dem 30jährigen Berliner „Computerfachmann“ Dirk B. wirft die Bundesanwaltschaft allerdings nur „geheimdienstliche Agententätigkeit“ vor - die einfachste Form der Spionage, die mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bedroht ist. Die Angeklagten sollen keine Geheimnisse verraten, sondern lediglich Gegenstände oder Erkenntnisse an den „Geheimdienst einer fremden Macht“ geliefert haben. „Zu dem Umfang der an den sowjetischen Geheimdienst KGB weitergegebenen Hacker-Erkenntnisse und sonstigen Datenmaterials liegen sichere Feststellungen nicht vor“, schreibt selbst die Bundesanwaltschaft in ihrer Information über die Anklageschrift. Allerdings macht sich nach bundesdeutschem Recht schon der geheimdienstlichen Agententätigkeit schuldig, wer auch nur Fahrpläne oder Telefonbücher an fremde Geheimdienste liefert.

Nach den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft ist bereits im Frühjahr 1986 in einer Gruppe des hannoverschen Hacker -Stammtisches „Chaos-Computer-Club, Leitstelle 511“ die Idee entstanden, die aus Bedarf an Hardware, immensen Telefonkosten und auch durch Rauschgiftkonsum bei den Hackern enstandenen finanziellen Probleme mit dem Verkauf von Daten zu lösen. Auch die beiden hannoverschen Hacker, die über den Deal mit dem KGB im Sommer 1988 zunächst zwei NDR-Journalisten und bald darauf auch dem Bundesamt für Verfassungsschutz berichteten, sollen von Anfang an an diesen Plänen beteiligt gewesen sein. Gegen einen von ihnen ist noch ein gesondertes Verfahren anhängig. Der zweite Kronzeuge, Karl K., auf den die Bundesanwaltschaft große Teile ihrer Anklage stützt, hat sich im vergangenen Mai nach zahlreichen Vernehmungen durch die Sicherheitsbehörden im Alter von 24 Jahren das Leben genommen.

Kontakt zum KGB soll die zunächst dreiköpfige Hacker-Combo über den hannoverschen Ex-Croupier Peter C. aufgenommen haben, der als einziger der drei Angeklagten noch in Untersuchungshaft sitzt. C. soll im Herbst 1986 erstmals in der sowjetischen Handelsmission in Berlin (DDR) Kontakt zu einem KGB-Mitarbeiter mit dem Decknamen „Serge“ aufgenommen und diesen dann in den folgenden Jahren insgesamt noch 25mal getroffen haben - so jedenfalls hat es die Bundesanwaltschaft anhand der Eintragungen im Reisepaß von Peter C. rekonstruiert. Nach Auffassung der Karlsruher Bundesanwälte stellte sich die Hacker-Runde zunächst vor, „ihr gesamtes Know-how einschließlich aller ihnen bekannten Zugangsberechtigungen zu fremden Datensystemen zu einem Pauschalpreis von einer Million DM veräußern zu können“.

Doch „Serge und der KGB hatten offenbar gar kein Interesse daran“, selbst von Moskau aus in westlichen Datensystemen herumzuhackern. Das Pauschalangebot aus Hannover soll abgelehnt worden sein. Auch nach Meinung der Bundesanwaltschaft hat „Serge“ von Anfang an wenig Interesse an den Möglichkeiten zum Eindringen in fremde Rechner gezeigt.

Statt dessen soll er von vornherein die Lieferung von Software verlangt haben, wie den Quellcode für Rechner -Betriebssysteme oder Programme zur Fertigungssteuerung und zur rechnergestützten Konstruktion. Als die Hacker dann wohl tatsächlich Listen mit den - unter Computerfreaks bekannten

-Anwählnummern und Passwörtern zahlreicher Rechner nach Ost -Berlin lieferten, habe der KGB lediglich zwischen 20.000 und 25.000 DM dafür gezahlt, wie die Bundesanwaltschaft ermittelt haben will.

Über die tatsächlichen „Zugangsberechtigungen“, deren Zahl die Bundesanwälte auf 500 schätzen, haben die Ermittlungsbehörden bis auf einige wenige Ausnahmen praktisch nichts herausgefunden. In den allermeisten Fällen bleibt völlig unklar, ob diese Berechtigungen nur das erste Kommunizieren mit einem fremden Rechner ermöglichen oder tatsächlich den Zugriff auf die in allen relevanten Fällen zusätzlich gesicherten Datenbestände.

Die wenigen Ausnahmen betreffen die Datenreisen von Markus H., der erst Ende 1986 über die Kontakte der übrigen Hacker mit dem KGB informiert worden sein soll. Die Hackereien von Markus H. in Computern der „Lawrence Berkeley Laboratories“ in Kalifornien fielen ab August 1986 dem dortigen Informatiker Professor Clifford Stoll auf. Der konnte die Spur des unbekannten Hackers aber nur bis zu einem hannoverschen Datenknoten zurückverfolgen. Auch die Information der Bundesanwaltschaft zur Anklageschrift verschweigt geflissentlich, daß der unbekannte, von Stoll verfolgte Hacker am Ende nur mit rechtswidrigen Ermittlungsmethoden als Markus H. identifiziert werden konnte und deswegen bereits vor zwei Jahren ein erstes Ermittlungsverfahren gegen den Programmierer eingestellt werden mußte. Die Polizei hatte nämlich damals den Telefonanschluß von Markus H. einfach ohne die erforderliche richterliche Genehmigung überwacht, den Anschluß illegal angezapft. Alle drei in Celle angeklagten Hacker leugnen nicht, daß an den KGB Disketten mit Daten aus der Hackerei verkauft worden sind.

Aber schon die Summe von insgesamt 90.000 DM, die „Serge“ an den Croupier Peter C. nach Ansicht der Bundesanwaltschaft für die gelieferte Software gezahlt haben soll, halten deren Verteidiger für zu hoch gegriffen. Von den angeblichen 90.000 DM plus Spesen soll Peter C. für seine Kurierdienste die Hälfte erhalten haben, der Rest soll unter den vier Hackern aufgeteilt worden sein. Wer die Sucht der Computerfreaks kennt, kann sich ausrechnen, daß selbst die von der Bundesanwaltschaft angegebenen KGB-Gelder am Ende noch nicht einmal die Telefonkosten decken, die sich in den langen Nächten summierten, die die Hacker vor dem Computer verbracht haben.