Milliarden für den Strom, Pfennige für die Umwelt

Leise rieselt der Kraftwerksschnee auf Häupter, Wiesen und Wälder, Tag für Tag dort, wo in der DDR aus Braunkohle Strom gewonnen wird. Während im Norden noch Kirchtürme das Landschaftsbild prägen, haben Kraftwerksschlote und Kühltürme den einst schönen Zittauer, Cottbusser und Leipziger Raum bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet: Hier lagert Braunkohle - die energiewirtschaftliche Basis des Landes. Milliarden für die Stromerzeugung, Pfennige für den Umweltschutz und Jahrzehnte bis zum Entdecken des ersten kranken Baumes in Wandlitz - von Anfang an setzte die DDR auf diesen einzig reichlich vorhandenen Rohstoff. Heute werden den 36 Braunkohlerevieren jährlich 320 Millionen Tonnen abgerungen. Das ist weit mehr als in irgendeinem anderen Land der Erde.

Opfer dieses radikalen Raubbaus, der jährlich 3.000 bis 4.000 Hektar ausgestorbene Kraterlandschaften in einst besiedelten Gebieten hinterläßt, sind die Natur und die dort lebenden Menschen. Über 30.000 Anwohner mußten sich einer Zwangsumsiedelung beugen, weil ihre Dörfer (über 75) den Kohlebaggern im Wege standen. Straßen, Flußläufe und Eisenbahnstrecken mußten den immer tiefer in die Erde vordringenden Kolossen weichen. Grubenwasser sammelt sich in toten Landschaften oder wird in die Flüsse gepumpt; 60 % des Spreewassers besteht derzeit aus Grubenwasser.

In den 16 überwiegend veralteten Braunkohlekraftwerken werden 83,3 % (1986) der geförderten Braunkohle verfeuert. Doch allein 80 % dieser mit Schadstoffen belasteten Menge verpuffen durch den Schornstein, um sich flächendeckend Sommer wie Winter in der Umgebung abzusetzen. Umweltschützer der DDR, bisher ungehörte Prediger in den Abraumwüsten, weisen seit Jahren auf die katastrophalen Folgen der Braunkohlepolitik hin. Daß sie mehr als Recht hatten, beweisen die inzwischen öffentlich zugänglichen Schwefelemissionswerte, die früher nur Betonköpfen und Panzerschränken anvertraut waren - Spitzenleistungen, die beschämen, denn die DDR hat mit 239,5 kg/Kopf und 36,9 t/km2 und Jahr die höchsten Werte in Europa. Frankreich kommt auf 52,6 kg/Kopf und 5,3 t/km2. Inzwischen will die derzeitige Regierung ihre Energiepolitik drastisch ändern. So werden zur Zeit beispielsweise die Förderquoten für Braunkohle um 50 bis 70 Mio. Tonnen reduziert. Dieser Rückgang soll bei stetig wachsendem Strombedarf mit Erdgasimporten aus der Sowjetunion und einer möglichen Einkopplung in das westeuropäische Gasnetz aufgefangen werden. Als alle Welt in den 60er und 70er Jahren noch blauäugig auf Atomenergie setzte, sahen auch die SED-Wirtschaftsexperten in ihr eine Garantie für die Zukunft. Die Atomkraftwerke in Rheinsberg (ein Block), Greifswald (vier Blöcke) und Stendal (seit 17 Jahren im Bau) sollten 1985 18 % der Stromerzeugung abdecken. Tatsächlich sind es heute nur 9,8 %. Veraltete Industrie- und Kraftwerksanlagen, Niedrigpreise für Privatabnehmer und stromvergeudende Haushaltsgeräte haben den immensen Energie-Pro-Kopf-Verbrauch in der DDR verursacht. Alternativen wie Sonne, Wind, Wasser und Biogas wurden jahrzehntelang nur als Alibi auf Sparflamme gefördert. Sie können nur Tropfen auf die heißen Schornsteine sein.

Bärbel Petersen