EG stößt Bundesregierung ins Wasser

Bonn muß sich vor dem Europäischen Gerichtshof wegen seiner Trinkwasserpolitik verantworten BBU-Experte kritisiert Bonn und die Brüsseler Eurokraten / Sechstes Umweltverfahren gegen Bundesrepublik  ■  Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) - Der ökologische Musterknabe entpuppt sich erneut als Schmuddelkind. Wegen unzureichender Trinkwassergesetzgebung muß sich die Bundesregierung vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg verantworten. Eine entsprechende Klage beschloß gestern die EG-Kommission in Brüssel. Damit blieb eine von Bonn zum Wochenbeginn angekündigte Absichtserklärung bei der EG ungehört, wonach die nationalen Qualitätsnormen für Wasser weiter angehoben werden sollen. Insgesamt laufen jetzt schon sechs Umweltverfahren vor dem EG-Gericht, in denen die Brüsseler Behörde der Bundesrepublik Verstöße gegen EG-Bestimmungen zur Reinhaltung von Luft und Gewässern sowie zum Vogelschutz vorwirft.

Die Brüsseler Eurokraten werfen der Bundesrepublik vor, das Trinkwasser zu stark mit Nitraten und Pestiziden zu belasten. Insbesondere sei die Kommission über Artikel 4 der bundesdeutschen Trinkwasserverordnung verärgert, der Ausnahmen von EG-Bestimmungen zulasse, die „außerhalb des Spielraumes für Ausnahmen“ lägen, hieß es. Außerdem habe Bonn die EG-Richtlinie aus dem Jahre 1980 erst mit vierjähriger Verspätung in nationales Recht umgesetzt und danach die Frist zur Erfüllung von Pestizidgrenzwerten im Trinkwasser eigenmächtig bis 1989 verlängert.

Der BBU-Wasserexperte Nik Geiler erklärte gegenüber der taz, eine „vorausschauende Umweltpolitik“ der Bundesregierung hätte die nun entstandene „verwickelte Situation“ verhindern können. Schließlich habe der Entwurf der EG-Richtlinie bereits 1975 vorgelegen, ehe sie 1980 verabschiedet worden sei. Vor allem könne man nicht Pestizidgrenzwerte festlegen und sie dann umgehend wieder stornieren, weil ansonsten viele kleinere Wasserwerke geschlossen werden müßten.

Den EG-Bürokraten warf Geiler vor, sie zäumten das Pferd von hinten auf, indem sie die Grenzwerte beim Trinkwasser immer weiter verschärften, während bei den Verursachern „Gleichwertiges“ nicht einmal erwogen werde. Um den außerordentlich scharfen EG-Forderungen nachzukommen, treibe die Bundesregierung den Grenzwertpoker nun im Novellierungsentwurf der Trinkwasserverordnung auf die Spitze. Nach der vorgesehenen Verschärfung der zulässigen Arsenwerte „müßten 200 kleinere Wasserwerke allein wegen Arsen dichtmachen“, fürchtet Geiler. Ergebnis könne nur die ökologisch unsinnige, weitere Zentralisierung der Wasserversorgung in der BRD sein.