Frage des Überlebens-betr.: "Talking Freak Radio" (Flimmern und Rauschen), taz vom 8.1.90

betr.: „Talking Freak Radio“, (Flimmern und Rauschen),

taz vom 8.1.90

(...) Zum Wiederkäuen von TV-Plattheiten sind die taz -Spalten eigentlich zu schade, und wenn die Lichtblicke der Sendung dann noch so mies abgehandelt werden, find‘ ich's einfach ärgerlich. Ist das der furchtbare Zeitgeist: banal, gewollt-witzig, intentionslos?

Ich habe keine Probleme mit der Kirche, weil ich nie mit ihr zu tun hatte; kenne aber etliche Menschen, die kirchengeschädigt sind und für die einer wie Drewermann durchaus wichtig für die Aufarbeitung ihrer persönlichen Geschichte sein kann.

Und mir ist nicht aufgefallen, daß Rudolf Bahro irgend etwas „brabbelte“. Ganz im Gegenteil hat er Dinge angesprochen, mit denen sich die taz ruhig mal näher beschäftigen könnte, um sich vom restlichen tagespolitisch -sensationsgierigen Blätterwald abzusetzen. Zum Beispiel die Tatsache, daß die DDR eins der reichsten Länder der Welt ist (was im 'ND‘ nicht gesagt werden darf). Da hat er doch einfach recht, daß die momentane Auseinandersetzung um die DDR die entscheidenden Punkte ausspart: die grenzenlose Ausbeutung der „Dritten Welt“, von der wir alle profitieren, und die kaum noch reparable Zerstörung unserer Umwelt durch die Megamaschine, das „westliche Wahnsystem“.

Nun bricht das „sozialistische“ Imperium zusammen, und damit scheint die Ausdehnung des kapitalistischen Weltmarkts unausweichlich, was - bei aller berechtigten Freude über die Demokratisierung im „Osten“ - einen Riesenschritt in Richtung auf die globale Katastrophe bedeutet.

In dieser Situation erwarte ich von der taz mehr als die gewohnte bunte Mischung aus Informationen, Kommentaren und Kultur. Manchmal scheint es mir, als hättet Ihr Euch in einer pseudo-freakigen Nische eingekuschelt. Wir leben ja alle mehr oder weniger mit der Verdrängung, aber jetzt werden Weichen gestellt, die fürs Überleben der Menschheit bedeutsam sein können. Da habt doch gerade Ihr - wenn Ihr noch irgendeinen linken oder alternativen Anspruch habt ein ganzes Stück Verantwortung.

Ihr bringt ja durchaus mal fundamental Wichtiges (zum Beispiel: „Der Übermensch ist männlich“ von Christina Thürmer-Rohr am 5.12.89); aber das sind so Bonbons.

Warum habt Ihr nicht eine ständige Seite, die ausschließlich der Frage des Überlebens gewidmet ist? Wo Menschen wie Rudolf Bahro, die sich den wirklichen Fragen unserer Zeit stellen, deren Dimensionen und ihre Lösungsvorschläge diskutieren können? Wenn Ihr es wolltet, sehe ich reale Chancen, daß die taz ein brauchbares Handwerkszeug und ein wichtiger Bestandteil einer sich hoffentlich konstituierenden deutsch-deutschen öko -sozial(istisch)en Bewegung werden könnte. Für die Neunziger wünsch‘ ich uns also eine anspruchsvolle taz, sich unseres Tanzes auf der Titanic bewußt, mit dem Wunsch, Rettungsboote mitzubauen.

Elisabeth Voß, Berlin