piwik no script img

Volkszählungsdaten endgültig reif fürs Altpapier?

Was anfangen damit, nachdem die Grenze offen ist? / Egon Hölder, Chef des Statistischen Bundesamtes: „Einiges ist sicher nicht richtig in der Hand“  ■ I N T E R V I E W

taz: Herr Hölder, was fangen Sie mit Ihrer Volkszählung an, seit in der DDR die Menschen rufen „Wir sind das Volk“ und sich die innerdeutsche Grenze öffnet?

Hölder: Unsere Volkszählung ist abgelaufen, und die Ergebnisse liegen fest. Sie ist Grundlage dafür, wieviel Einwohner wir hier in der Bundesrepublik haben. Auf die Ergebnisse der Volkszählung werden schon seit ihrem Stichtag die Zuzüge drauf- und die Wegzüge abgerechnet. Und genau dasselbe tun wir mit denen, die als Übersiedler zu uns kommen.

Wie können Sie denn orten, wohin die Leute ziehen? Wie ermitteln Sie, wieviele der rund 700.000 Aus- und Übersiedler, die allein letztes Jahr in die Bundesrepublik gekommen sind, nun nach Castrop Rauxel oder Husum gezogen sind?

Wir können zwar nicht sagen, daß der betreffende Mensch ein übersiedler ist. Wir können aber sagen, durch Zuzüge oder Wegzüge ist die Einwohnerzahl einer bestimmten Gemeinde in der und der Form seit der Volkszählung verändert worden. Das macht dieselben Probleme wie bei jeder Fortschreibung. Ob das nun Übersiedler sind oder Umzüge innerhalb der Bundesrepublik macht dabei keinen Unterschied.

Nun sollte bei der Volkszählung ja nicht nur die Bevölkerungszahl ermittelt werden. Es wurden auch Daten erhoben, die der Verkehrsplanung, der Wohnungspolitik, der Arbeitsmarktanalyse dienen sollten. Gerade dort hat sich doch in den letzten Wochen alles rasant verschoben. Es gibt einen deutsch-deutschen Pendelverkehr, Schwarzarbeit, Patienten aus der DDR in BRD-Arztpraxen. Was sagen Sie jetzt Gemeinden im Grenzbereich wie Bad Harzburg, Hof oder Berlin, was sie mit den Volkszählungsdaten anfangen sollen?

Ja, das ist natürlich ein anderer Punkt. In einigen Fällen mag die Verkehrssituation, die durch das Durchlässigwerden der Grenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik entstanden ist, zu Veränderungen führen. Die muß man wieder neu messen. Aber die Ausgangsgrundlage ist natürlich erhalten geblieben.

Was soll denn eine Stadt wie Berlin jetzt noch mit der Volkszählung, wo sich die Einwohnerzahl nach dem Mauerdurchbruch faktisch verdoppelt hat? Seit der Maueröffnung bricht hier zeitweise der öffentliche Nahverkehr zusammen, was sollen da noch die alten Erhebungen, wieviele Leute mit der U-Bahn zur Arbeit fahren.

Da haben Sie natürlich völlig recht. Das sind Dinge, die man bei der Volkszählung nicht berücksichtigen konnte. Das ist ja im Augenblick eine Sondersituation. Mit der Volkszählung können Sie ja genausowenig den Weihnachtsverkehr erfassen.

Nur Weihnachten ist einmal im Jahr, die Grenze wird ja hoffentlich auf Dauer offenbleiben.

Ja, das ist richtig. Wenn sich die Wirtschaftssysteme annähern und es eine Arbeitstätigkeit hin und her und Grenzgänger gibt, dann wird sich manches ändern. Dann wird man sicher noch entsprechende Erhebungsformen finden müssen.

Und was raten Sie jetzt den Städten Hof, Lübeck, Kassel oder Berlin, wo die Kaufhäuser, Busse und Parkplätze jedes Wochenende rappelvoll sind, was sie mit Ihrer verstaubten Zählung anfangen sollen?

Der Stadtstaat von Berlin hat immerhin durch die Volkszählung festgestellt, daß er über sieben Prozent mehr Einwohner hat...

.. Jetzt hat er noch viel mehr!

Ja, ja natürlich. Aber wären wir von der alten Ausgangslage ausgegangen, hätte Berlin beim Finanzausgleich zuwenig Geld bekommen.

Geld bekommen die Städte und Gemeinden aber nur für die ordnugnsgemäß gemeldeten Einwohner. Daß jeden Tag oder jedes Wochenende Tausende zu Besuch kommen, U-Bahnen und Schwimmbäder benutzen, Parkplätze suchen, zählt dabei nicht.

Für den Besucherverkehr, den wir jetzt haben, gibt es keine statistische Grundlage, das ist richtig. Diese Dinge sind sicher nicht so richtig in der Hand, aber das brauchen wir auch gar nicht. Wir wollen ja nicht alles und jedes erfassen. Wir sind ja gar nicht solche Datenkraken, für die man uns hält.

Sind Ihnen denn angesichts der Veränderungen in den letzten Wochen einmal Zweifel gekommen über die Verwendbarkeit der Volkszählungsdaten?

Nein. Die Volkszählung hat das erbracht, was man erwarten konnte. Daß die Welt nicht gleichbleiben würde, wußten wir auch damals. Ich werde ja fast daran irre, wenn mir die taz jetzt empfiehlt, demnächst wieder eine neue Volkszählung zu machen.

Die taz empfiehlt nicht, sondern fragt besorgt: Wann kommt die nächste Volkszählung? Glauben Sie nicht, Sie müßten nun wieder eine neue machen?

Nein, wir haben den europäischen Kollegen jetzt wieder mitgeteilt, daß wir (anders als die anderen europäischen Staaten, d. Red.) um 1990/91 herum keine neue Volkszählung machen, sondern mit der Fortschreibung aus der 87er Volkszählung arbeiten.

Träumen Sie schon von einer gesamtdeutschen Volkszählung?

Wenn wir eine staatliche Vereinigung hätten, eine Förderation oder was auch immer, würde man sicher auch Informationen brauchen, wieviele Menschen in diesem Staat wohnen. Ich habe ja auch schon mit dem Ostberliner Kollegen gesprochen. Dann würden wir als Statistiker sicher auch geeignete Methoden finden.

Interview: Vera Gaserow

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen