Keine Rechte für Minderheiten

Katrin Reemtsma von der Gesellschaft für bedrohte Völker zur Lage der Roma in Jugoslawien  ■ I N T E R V I E W

taz: Die Gesellschaft für bedrohte Völker erarbeitet zur Zeit ein Gutachten über die Situation der Roma in Jugoslawien. Welche Situation würden die Roma nach den Erkenntnissen dieser Studie vorfinden, wenn sie nach Jugoslawien abgeschoben würden?

Reemtsma: Nach Auswertung all unserer Quellen kommen wir zu dem Ergebnis, daß es vor allem in den letzten drei bis vier Jahren in Jugoslawien immer wieder zu recht gravierenden Menschenrechtsverletzungen gegen Roma gekommen ist. So wurde in Skopje eine Gruppe von etwa 50 Roma einer islamischen Glaubensrichtung in den Jahren 1986 bis 88 während ihrer religiösen Versammlungen regelmäßig überfallen und gefoltert. Die Menschen wurden inhaftiert - immer mit der Begründung, sie würden proalbanische Interessen unterstützen. Das Oberhaupt dieser religiösen Gemeinschaft ist inzwischen in der Bundesrepublik als politisch Verfolgter anerkannt worden. Über die Asylanträge der anderen Mitglieder ist noch nicht entschieden worden. Eine Abschiebung wäre für sie sehr gefährlich. Immer wieder sind die Roma im Zuge der Nationalitätenkonflikte zwischen Serben und Albanern Übergriffen ausgesetzt.

Betrifft das nur einzelne Landesteile Jugoslawiens?

Die Situation in Jugoslawien ist generell bedenklich für die Gruppe der Roma. Extrem schwierig und gefährlich ist sie vor allem in Makedonien und dem Kosovo. Es liegen aber auch Berichte von Übergriffen gegen Roma aus anderen Landesteilen vor, so z.B. aus Nordserbien und Kroatien. Ihre Häuser wurden angezündet oder immer wieder von der Polizei überfallen. Auch wurden einzelne Familien und deren Verwandte von der Polizei drangsaliert.

Diese Übergriffe beziehen sich explizit auf die Zugehörigkeit der Menschen zur Gruppe der Roma?

Ich meine ja. Denn politisch sind die Roma in einer völlig rechtlosen Situation. Sie sind verfassungsrechtlich benachteiligt, sie werden in Jugoslawien lediglich als ethnische Minderheit anerkannt. Der Staat hat ihnen gegenüber weder eine Verpflichtung zur Einhaltung der Minderheitenrechte noch können sie auf Einhaltung dieser Rechte klagen.

Aber sie sind doch jugoslawische Staatsbürger.

Ja, aber sie sind nicht als Nationalität anerkannt wie alle anderen Völker des Vielvölkerstaats. Es gibt dort die Verfassungskategorien „Nationalität“, „Nation“ und „Ethnische Minderheit“. Und das letztere heißt juristisch im Grunde gar nichts: Es sind keine Rechte damit verbunden.

Das Bundesamt für die Anerkennung politischer Flüchtlinge kommt - zumeist auf Grundlage von Informationen des Auswärtigen Amtes - zu einer ganz anderen Einschätzung.

Das Auswärtige Amt hat sich lediglich bei der einen oder anderen offiziellen Stelle erkundigt. Wir haben uns dagegen bei unserer Studie zum einen auf Aussagen der Roma selbst gestützt, die hier in der Bundesrepublik sind. Dann haben wir die Aussagen von Anwälten einbezogen. Darüber hinaus haben wir die jugoslawische und bundesdeutsche Presse zum Thema Roma ausgewertet. Und selbst bin ich in Jugoslawien gewesen, habe mit den Roma dort gesprochen und mir ihre konkrete Lage angesehen.

Sicher ist es aber auch die soziale Situation, die viele Roma bewegt, in die Bundesrepublik oder nach Westeuropa zu kommen.

Ja, aber auch die soziale Situation ist immer eine Frage der Politik. So hat z.B. die verfassungsrechtliche Benachteiligung der Roma dazu geführt, daß viele Roma auch sozial ausgegrenzt sind: Sie sind rechtlos, sie wohnen zum Teil in riesigen Ghettos in den Großstädten oder weit außerhalb der Dörfer. Und die verfassungsrechtliche Benachteiligung findet ihr Pendant in einer ungeheuren gesellschaftlichen Geringschätzung: einem Roma kann man ohne Angabe von Gründen den Gewerbeschein verweigern. Fast zwangsläufig wird er dadurch in die Illegalität getrieben und dann von der Polizei dafür geprügelt, daß er keinen Gewerbeschein hat.

Hängt die Ausgrenzung nicht zum Teil mit der Kultur der Roma, ihrer Geschichte, ihrer Lebensweise zusammen?

Das denke ich nicht. Die Roma sind Jugoslawen und fühlen sich auch Jugoslawien verbunden. Ich denke aber, daß viele Bemühungen zur Integration, zum Beispiel indem man die Kinder regelmäßig zur Schule schickt, dadurch kaputtgemacht werden, daß keine Rücksicht darauf genommen wird, daß diese Kinder aus einer etwas anderen sozialen Struktur kommen. Und auch auf dem Arbeitsmarkt heißt es immer wieder: Was willst du denn hier. Zigeuner nehmen wir nicht. Roma sind in vielen gesellschaftlichen Bereichen dermaßen benachteiligt, daß sie als sozial schwache Gruppe sehr schnell an den Rand gedrängt werden.

Eine große Sorge der Politiker hierzulande, gerade auch in NRW, ist, daß noch Tausende Roma aus Jugoslawien in die Bundesrepublik kommen.

Nach unseren Schätzungen leben derzeit noch 800.000 bis eine Million Roma in Jugoslawien. Ich halte die Angst, es würden mehr und mehr in die Bundesrepublik kommen, für unbegründet, denn man kann nachvollziehen, daß eine große Anzahl der Roma in den letzten drei, vier Jahren geflüchtet ist, als es vor allem in Südjugoslawien die Nationalitätenkonflikte gab. Das bedeutet, daß die Flucht der Roma in einem engen Zusammenhang mit der politischen Situation in ihrem Heimatland steht. Heute ist die Situation für die Roma nicht unbedingt sicherer; es ist eine unentschiedene Lage. Aber sie kommen sicher nicht in die Bundesrepublik, weil es hier so schön ist. Es handelt sich nicht einfach um eine Lust auf Wanderschaft.

Das Gespräch führte Vera Gaserow