„Es hat sich eine breie ökologische Basisbewegung gegründet“

■ Interview mit dem Rostocker Meeresbiologen Michael Kreuzberg zu ökologischen Problemen in der Ostseestadt

Dr. Michael Kreuzberg ist Meeresbiologe. Er konnte in seinem Beruf nicht arbeiten, weil er von der SED kein Seefahrtsbuch bekam. Er arbeitet in der Pathologie Rostocks.Nebenher ist er ehrenamtlicher Inspektor für Umweltschutz des Rates der Stadt Rostock. Gleichzeitig ist er im Neuen Forum und in der Grünen Liga engagiert.

Bitte den Herrn im Kittel

taz: Seit wann gibt es in Rostock eine Ökologiebewegung?

Michael Kreuzberg: Anfang der achtziger Jahre sind Stadtökologiegruppen entstanden. Ich leite in Warnemünde so eine Gruppe. Sie sind Bestandteil des Kulturbundes, einer sehr alten Organisation. Bisher hat sich der Kulturbund auch um Naturschutz gekümmert. Aber dort waren vorwiegend Gruppen wie Schmetterlings-und Briefmarkensammler. Anfang der achtziger Jahre wurde innerhalb des Kulturbundes auch die Gesellschaft für Natur und Umwelt gegründet. Sie war eher als Ventil für die Jugend gedacht. Gesellschaft für Natur und Umwelt hört sich gut an, war aber voll im System integriert. Wir konnten Dampf ablassen, aber mehr auch nicht.

Glauben Sie, daß Ökologie zukünftig mehr Gehör finden wird?

Die Situation ist jetzt anders. Es wird seit einiger Zeit offen in der Presse diskutiert. Früher durften Mißstände nicht in die Zeitung. Vor allem hat sich jetzt in der DDR eine breite ökologische Basisbewegung formiert. Vor einem Jahr schlossen sich die Ökogruppen der Gesellschaft überregional in der DDR zusammen. Sie bilden demnächst die Grüne Liga der DDR. Gegründet wird sie am siebten Februar. Es wird eine überparteiliche Grüne Bewegung, wo alle Ökologen, ob sie nun sozialdemokratisch oder kirchlich sind, mitmachen können.

Soll die Grüne Liga der DDR in absehbarer Zeit eine Partei werden?

Nein, ich sehe zur Zeit, daß die ganze Grüne Bewegung abschmiert. Wir hatten vor dem siebten Oktober im Neuen Forum ein unheimlich schönes, breites Bündnis. Das zerfällt jetzt in viele Einzelparteien. Die Grüne Liga soll keine Partei werden. Es hat sich Ende November allerdings eine Grüne Partei gegründet'ohne die Basis, die ja schon jahrelang gearbeitet hat, zu fragen. Die Leute aus Berlin und dem Süden sagten einfach, wir müssen eine Partei sein. Da gibt es eben konträre Auffassungen. Wir haben inzwischen mit den alten Parteien über 16 Gruppen. Das ist im Grunde genommen Quatsch.

Können Sie sagen, daß die Stadtökologiegruppe in Rostock von der SED unterdrückt wurde, oder wurden Sie auch angehört?

Das war lokal verschieden. Also, da gab es Gruppen, die sogar vom Kulturbund unterdrückt wurden. Gewisse Posten wurden geschaßt, sodaß die Leute ihre Sachen nur noch privat abwickeln konnten. Es gab auch Städte, wo das besser lief. Auch mit der SED. Unser Oberbürgermeister hat an sich, na ja, zumindest in Ansätzen gut kooperiert. Aber wir als Basisgruppen und nicht als Berufsökologen haben im Grunde erst Mißstände entdeckt, wenn es zu spät war. Zu variieren war unmöglich. Erst wenn eine Müllkippe da war, konnten wir Alarm schlagen, wenn die Betriebe die Orchideen schon planiert haben, war es passiert. Was wir erreicht haben, noch vor der Wende, war, daß wir zunehmend in Planungskonzepte einbezogen wurden.

Haben Sie beratende Funktionen gehabt? Wurde nur auf Sie Rücksicht genommen?

Es gibt den Generalbebauungsplan der Stadt Rostock bis zum Jahre Zweitausend. Da sind wir drin. Wir haben als Ökologen eine Erfassung von an die 5o Biotopen in Rostock durchgeführt und mit dem Stadtplan verglichen. Da war dann zum Beispiel ein Kleingewässer, das erhalten werden mußte. Da ging das Geschiebe los: Kommt er hin oder kommt er nicht. Da werden wir schon konsultiert. Wir haben erreicht, daß das Projekt Lindenpark gekippt wurde. Das war das heißeste Thema in den letzten Jahren. Ursprünglich sollte auf einem großen Gelände der Stadt ein Park drauf. Dann hieß es, der müßte weg. Es sollten Wohnblöcke und eine Schnellstraße gebaut werden. Da haben wir einen riesigen Proteststurm entfacht, das hat Rostock noch nicht erlebt. An den Rat ging eine Eingabenflut von Ökogruppen und Bürgern, hunderte, tausende waren es. Wir haben erreicht, daß das Projekt so geändert wurde, daß für uns der Kompromiß tragbar war. Die Schnellstraße ist weg, ein Teil der Wohnblöcke ist weg, es werden jetzt 60 Bäume gefällt werden und dafür kommen Neuanpflanzungen. Die Straße, die da jetzt hinkommt, soll die Innenstadt entlasten, weil sie zur Fußgängerzone erklärt wird.

Hat die Behörde gelernt?

Die Mitarbeiter des Staatsapparates sind nicht nur idiotische Bürokraten. Die wollten teilweise schon immer wie wir, konnten aber nicht. Der Plan kam von oben per Gesetz. Andererseits herrschte in den Behörden Unkenntnis. Die sind im ökologischen Denken nicht geschult. Sie wußten nicht, wie wichtig so ein Kleingewässer ist.

Woher kommt denn diese Inkompetenz des Staatsapparates?

Bis jetzt wurden die Leute im Staatsapparat nach Parteizeichen ausgewählt. Hätte ich vor 10 Jahren hauptamtlicher Umweltschützer hätte werden wollen, hätte ich in die SED oder eine Blockpartei, vielleicht die Bauernpartei, gemußt. Umweltschutz, das hört sich gut an. Aber das Ressort Umweltschutz gehörte bisher zum Landwirtschaftsministerium. Das bekam immer die Bauernpartei.

Können Sie uns schildern, welche gravierenden Umweltprobleme Rostock belasten?

Wenn die nächste Urlauberflut wieder am rollen ist, macht die alles kaputt. Inzwischen hat die Nationale Volksarmee ihre Manövergebiete aufgelöst. Die Wälder waren unberührt, jetzt sind sie offen. Mir geht es zur Zeit darum, daß die ehemaligen Manövergebiete Naturschutzgebiete werden. Das Hauptproblem ist Rostocks Kläranlage. Entgegen aller Beteuerungen hat sie sich als Stinkbombe erwiesen. Die Trinkwasserversorgung überhaupt und die Braunkohleheizung sind die Hauptlast. Der Urlauberverkehr zerstört die Küstenwälder und ist ebenso wie der Staßenverkehr ein großes Problem.

Wie läßt sich das lösen?

Wir als Ökogruppe in Warnemünde haben schon seit drei Jahren ein Konzept. Dinge, die „drüben“ schon normal sind: Verkehrsberuhigung und Innenstädte absperren. Das Düngemittelwerk produziert Stickstoffdünger und die gehen in den Pfälzer Bach ab.

Der kommunale Müll in Rostock ist ein großes Problem. Wir haben kaum Deponien und die sind vorsintflutlich. Wir haben keine Sondermüllerfassung für die Haushalte. Es geht alles af die Kippen. Dabei ist es bei uns so, daß 80% der Stoffe in der Mülltonne verwertbar wären. Das ist ja der Wahnsinn. Die Müllentsorgung hat nicht genug Fahrzeuge, es fehlt an Dieseltreibstoffen, um regelmäßig zu entsorgen. Das ist die Misere in der DDR, daß wir auf technisch veraltetem Material sitzen.

Peter Brenner