GEBAUTE ILLUSIONEN

■ Filmreihe: „Architektur im Film“ im Arsenal

Hier hat niemand was zu lachen! In Slotan Dudows Film „Wie der Arbeiter wohnt“, aus dem Jahre 1930, lebte, ach was, hauste der Arbeiter, wurde er nicht gerade wieder enth(l)aust, in feuchten Katakomben, in denen der Schimmelpilz und der Wasserfloh Tango tanzten. Die Kreuzberger Mietskasernen verwischen zu einem dunklen Metropolis aus Kehricht und Matsch, zu „heillosen Brutstätten der Tuberkolose“ (S.D.), wo Fensteröffnungen wie tote Augen und Türen wie zahnlose Münder wirken. Immer an der Wand lang, zerrt eine Kamera vorbei an kuhäugig glotzenden und hohlwangig hungrigen Schmuddelkindergesichtern, in ein bauliches Verließ auf das Familienoberhaupt zu. Die Wohnung tritt zurück, als sich das Arbeitergesicht groß auf die Kamera zubewegt und bildfüllend erstarrt: „Durch die nasse Kellerwohnung taubstumm geworden“ (S.D.), mahnt der Zwischentitel, und der Alte sinkt aufs Bett zurück.

Daß Dudows Dokumentarfilm zu keinem authentischen Bericht über Berliner Arbeiterwohnungen hat werden können, lag nicht an einer überzeichneten Realität der Berliner Hinterhofkeller, sondern an der Stilisierung des Elends. Eine soziale Horrorshow im Häusermeer mit unter sich entfremdeten Großstadtzombies entstand und verwischt, daß unmenschlich wohnen noch lange nicht entmenschlicht leben bedeutet. Architektur, so scheint es, erschlägt hier nicht nur, wie Kurt Tucholsky meinte, Architektur ist zur schrecklichen Höhle beinahe Wilder geworden.

Slatan Dudows Dokumentation ist der Horrorfilm in einer Reihe „Architektur im Film - Die Moderne als große Illusion“, die sonst fast ausschließlich blindwütigen Architektur-Avantgardismus vorführt und dessen Berührungspunkte mit dem Film darstellt. Doch zeigt die Reihe, die der Berliner Filmarchitekt Ralph Eue für das Arsenal-Kino zusammengestellt hat, daß die Wohnmaschinen und ihr technisches Design - abgesehen vom erfinderischen Umgang mit dem Raum, dem Spiel mit dem künstlichen Licht und baulichen Bewegungselementen - im Film allmählich theatralischen Effekten geopfert werden, die dem szenographischen Ausdruck und keiner baulichen Typologie mehr gehorchen. Die soziale Dimension des neuen Bauens wurde nicht ernst genommen, die Bauweise eher ästhetisiert. Moderne Architektur im Film blieb gerade in der Blütezeit der Filmkunst die bauliche Metapher für die Erwartungen einer neuen Zeit aus Tempo, Rhythmus und Schnelligkeit und war Signal einer optimistischen Fortschrittsgläubigkeit im großstädtischen Milieu. „Unsere Zeit ist in erster Linie mechanisch und visuell“, schrieb Sonja Delauny damals, „Mechanik und Dynamik bestimmen die praktische Dimension unserer Zeit. Das visuelle Element ist ihr geistiges Kennzeichen.“ So erscheint moderne Architektur im Film geradewegs als das sinnfällige Zeichen für ein bewegliches Bauen, das ebenso schnittig daherkommt wie die Screwball -Kinogeschichten aus den Nachtklubs, Jachten und Büros, a la Lubitsch und Hawks.

Auf die theoretischen Grundlagen der klassischen Architektur der Moderne pfiff deshalb schon einer der frühesten Filme, „L'Inhumaine“ von 1924 (Ausstattung: Robert Mallet-Stevens, Claude Autant-Lara, Fernand Leger u.a.), in dem die gerade erst entstandene neue Bauweise zur Kulisse einer mondänen Gesellschaft verkommt, die sich wie expressive Puppen darin bewegt. Die moderne Architektur, Fernand Legers künstlerische Maschineneuphorie und Technikgläubigkeit werden schon hier zum Art deco für die intellektuelle Spielerei der Schickeria der zwanziger Jahre, der der Versuch, moderne Architektur als das zu propagieren, was sie sein sollte und für welchen Gebrauch sie bestimmt war, egal war. Im Manierismus der Bühnenbauten und exzentrischer Kameraeinstellungen verliert die Sache Architektur zugunsten einer dämonischen Karikatur.

Vervollständigt wird die Reihe noch vom singenden Technik -Macho-Flieger Hans Albers: „Schneller und immer schneller dreht sich der Propeller...“ in „F.P.1 antwortet nicht“ (1932, Ausstattung: Erich Kettelhut), vom türschlagenden Luxusdiebespaar im Streamline-Design aus „Trouble in Paradise“ (1932, Ausstattung: Hans Dreier) und einem Kurzfilm über den Tessiner Architekten Mario Botta, dessen Bauten eher Festungen gleichen. Das Goldstück der Reihe aber ist ein Schulfilm über moderne Architektur, den Pierre Chenal mit Le Corbusier 1930 drehte. „L'architecture d'aujourd'hui“ ist ein dokumentarischer Avantgardefilm, der die Kamera recht wackelig an Le Corbusiers Villa Savoye und Villa Stein entlangführt und dabei in 33 Losungen die moderne Bauweise erklärt: Schon die Eröffnungsszenen sind Beweis genug, daß ein wesentliches Element der Moderne die Technik und die Bewegung ist: Der Film zeigt ein Automobil.

-Zwischentitel: „Das Auto. Eine Maschine zum Fahren.“ - Es folgen zwei Einstellungen von Flugzeugen. - Zwischentitel: „Das Flugzeug. Eine Maschine zum Fliegen.“ - Dann sieht man ein Bild der Villa Stein. - Zwischentitel: „Das Haus. Eine Maschine zum Wohnen.“ Dann kommt ein Auto auf die Villa zugerast, Le Corbusier höchstpersönlich steigt aus und geht zügig ins Haus, dieweil oben auf der Dachterrasse ein netter junger Mann mit zwei netten jungen Bubiköpfchen in abstrakt gestylten Sporttrikots Kniebeugen macht. Plötzlich hüpfen sie davon, winken noch schnell in die Kamera, und die Freizeit ist beendet. Das sind die Menschen von morgen!

rola

Die Filmreihe „Architektur im Fim“ ist noch bis zum 18.Januar im Kino Arsenal zu sehen. Gleichzeitig zur Reihe ist ein schönes Buch erschienen: Donald Albrecht, „Architektur im Film - Die Moderne als große Illusion“, übersetzt und herausgegeben im Birkhäuser Verlag von Ralph Eue. Es kostet schlappe 148 DM.