: Kostspielige Aper?us
■ Zum Band VII der Gesammelten Schriften Walter Benjamins / Von Momme Brodersen
Nun ist er also endlich da, der VII. Band der Gesammelten Schriften von Walter Benjamin, trotz aller Querelen und „Abrechnungen“, den korrekten wie den - mittlerweile haben wir's schwarz auf weiß - weniger korrekten. Mit denNachträgen schließt die Ausgabe formell ab. Was noch aussteht ist ein letzter Supplementband - der erste von insgesamt dreien, der die „kleineren Übersetzungen“ enthalten wird: Ggelegenheits-Übertragungen (u.a.) von Schriften Tristan Tzaras, Gabriele D'Annunzios und Saint -John Perses, aber auch wichtigere, wie die aus dem Werk, das sozusagen an der Wiege der Passagenarbeit stand: Louis Aragons Paysan de Paris, dessen Lektüre Benjamin derartiges Herzklopfen bereitete, daß er nie mehr als zwei bis drei Seiten auf einmal lesen konnte; schließlich die zahlreichen Übersetzungen von Erzählungen Marcel Jouhandeaus, die schon 1930/31 gesondert bei Kiepenheuer hatten erscheinen sollen, um dann doch wiederum nur das Buch seiner nie zustandegekommenen Veröffentlichungen um ein weiteres Kapitel zu bereichern.
Die Mehrzahl der Texte in Benjamins „Siebtem“ kennt man bereits aus verschiedenen Einzelpublikationen der voraufgegangenen Jahre. Die Rundfunk-Arbeiten erschienen, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen, schon 1985 in der Edition Suhrkamp unter dem Titel Aufklärung für Kinder, die Sonette - auch sie hier in der erreichbaren Vollständigkeit beisammen - brachte derselbe Verlag 1986 heraus, und die mittlerweile vierte überlieferte Version derBerliner Kindheit (die Fassung letzter Hand) ist seit gut zwei Jahren auf dem Markt. Insofern also scheint dieser Nachtragsband eher für die Spezialisten unter den Benjamin-Lesern bestimmt. Dazu paßt zuletzt noch der Preis: 120 Mark sind wahrlich kein Pappenstiel. Wer die Ausgabe nicht scheut, findet freilich noch genug, was die Lektüre lohnt, ja, sie geradezu spannend macht.
Die erste Abteilung bringt einige Texte des jungen Benjamin: unter anderem einen Lebenslauf, den er 1911 zusammen mit seinem Antrag auf Zulassung zur Reifeprüfung an der Kaiser-Friedrich-Schule einreichte. Ihm ist Näheres über Benjamins fast zweijährigen Aufenthalt im Thüringischen Landerziehungsheim Haubinda 1905/06 zu entnehmen. Der Schulreformer Gustav Wyneken zählte zu seinen dortigen Lehrern, und auf ihn, auf seine besondere Art des Unterrichtens ist jener Satz des Curriculums gemünzt, demzufolge Benjamin erst hier „vor allem im deutschen Unterricht diejenigen Anregungen empfing, die seitdem sein Streben und seine Interessen geleitet“ hätten. Seine „Neigung zur Literatur“, die er „bis dahin in einem ziemlich ungeregelten Lesen befriedigt“ hatte, „wurde durch die kritischen ästhetischen Normen, die der Unterricht“ ihm „entwickelte, vertieft und in gewisser Richtung bestimmt“. Weiter enthält der Band die Deutsch-Abiturarbeit zum Thema Kann von Grillparzers „Sappho“ gesagt werden, daß der Dichter „mit Goethes Kalbe gepflügt habe?1 - ein trotz der sehr guten Note freilich wenig „benjaminsches“ Werk. Sie läßt zwar einige Rückschlüsse auf seine damaligen Neigungen zu, aber für die besondere Originalität dieses Autors steht sie doch noch nicht ein. Das mag vor allem damit zusammenhängen, daß die Lehrer der königlich-preußischen Lehranstalten ihren Schülern wenig Raum für eigenes Denken ließen. Was wirklich zählte - die Zwei Rätselbilder derBerliner Kindheit halten es fest -, das waren „Tugenden“ wie Pflicht und Pünktlichkeit, Folgsamkeit und Fleiß, lammfrommes, lobenswertes und lernbegieriges Verhalten. Phantasie hingegen war dort kaum gefragt, fachkundig brauchte ein Heranwachsender noch nicht zu sein, ja, und wenn ein Schüler gar allzu lebhaft war, und sei es auch nur in der Form, daß sein sprühendes intellektuelles Temperament bisweilen „mit ihm durchging“, so zögerte man keinen Augenblick, das ganze Arsenal von „Erziehungs„mitteln einzusetzen, das den damaligen Zuchtmeistern zu Gebote stand, um derlei Disziplinlosigkeiten schon im Keime zu ersticken. Der in diesem VII. Band abgedruckte Epilog Benjamins zur „Bier-“ bzw. Abiturienten-Zeitung seiner Abschlußklasse bringt dies noch einmal unmißverständlich zum Ausdruck: „Was hat die Schule uns gegeben? Wissen, Wissen, Wissen... Arbeit und Gehorsam.“ Schon derlei harmlose Feststellungen reichten im damaligen Obrigkeitsstaat hin, die Autoren der Zeitung - Benjamin und zwei Mitschüler hatten sie „hinter dem Rücken der Klasse“ verfaßt - vor den Kadi zu schleppen. Wie dieser Beleidigungsprozeß ausging, von dem Benjamins Freund und ehemaliger Mitschüler Ernst Schoen berichtete, entzieht sich leider unserer Kenntnis. Schließlich wird hier noch der im II. Band der Gesammelten Schriften fehlende Artikel über Die freie Schulgemeinde nachgetragen, eine Propagandaschrift für die 1910 gemeinsam von Wyneken und Paul Geheeb (u.a.) ins Leben gerufene Freie Schulgemeinde Wickersdorf.
Die mit einigen Ergänzungen präsentierten Sonette und Gedichte bestechen mehr durch ihre Form denn durch Originalität. Ihre bloße Existenz freilich gibt der - mit Ausnahme Hermann Hesses - offenbar nur von den Frauen unter Benjamins Bekannten (Charlotte Wolff, Asja Lacis, Hannah Arendt u.a.) gegebenen Charakteristik recht, man habe es im Falle seiner Schriften „mit etwas zu tun“, das wohl zwar „nicht einzigartig“, aber doch „äußerst selten“ sei: „mit der Gabe, dichterisch zu denken“ (H. Arendt), ein solides Fundament.
Unter den bereits 1985 gedruckten Rundfunkarbeiten fehlten zwei ganz wichtige, die hier mit einigen anderen nachgetragen werden: Zum einen das zusammen mit Ernst Schoen verfaßte „Hörspiel für Kinder nach dem Märchen von (Wilhelm) Hauff“, Das kalte Herz, sowie ein Gespräch mit Wilhelm Speyer über Rezepte für Komödienschreiber, in dem beide „aus dem Nähkästchen“ ihrer Zusammenarbeit plaudern. Die Klärung der langjährigen, persönlichen wie intelletuellen Beziehungen Benjamins zu Speyer harrt bis heute einer eingehenderen Untersuchung. Wie eng sie waren, belegen einerseits seine bereits im VI. Band der Gesammelten Schriften publizierten autobiographischen Aufzeichnungen und andererseits ihre noch unveröffentlichte Korrespondenz, aus der unter anderem hervorgeht, daß Benjamin wesentlich an der Entstehung einiger Schauspiele Speyers (Es geht. Aber es ist auch danach!, 1929; Jeder einmal in Berlin, 1930; Der große Advokat, (1932), sowie dessen 1930 erschienenem Roman Gaby, weshalb denn nicht? beteiligt war. (Welchen Umfang diese Mitwirkung hatte, zeigt der Anteil an den Tantiemen, die Speyer seinem Co-Autor vertraglich einräumte: 5 bis 15 %.)
Mit der Berliner Kindheit in der Fassung letzter Hand (ein Fund aus der Bibliotheque Nationale in Paris) liegt uns mittlerweile die vierte, ja rechnet man die Berliner Chronik hinzu, sogar fünfte Version der Kindheitserinnerungen vor. Grund der zahlreichen Umarbeitungen und Neuordnungen dieser Reminiszenzen, die in gewissem Sinne das Vorbild für die großangelegte Passagenarbeit abgaben, ist ihre geradezu abenteuerliche Publikationsgeschichte. Ursprünglich - will sagen: bereits im Jahre 1931 - von der Redaktion der 'Literarischen Welt‘ in Auftrag gegeben (dort sollte freilich keine einzige Zeile dieser Erinnerungen erscheinen), gelangten sie zu Benjamins Lebzeiten nur stückweise an die Öffentlichkeit: unter anderem die 'Frankfurter Zeitung‘, die alte 'Voss(ische Zeitung)‘, die 'Neue Zürcher Zeitung‘ und zuletzt noch (1938) die von Thomas Mann herausgegebene Zweimonatsschrift 'Maß und Wert‘ brachten Teile daraus. Erst posthum, 1950, erschien die Sammlung dann als Ganzes. Dabei hatte sich Benjamin durchaus frühzeitig und energisch um eine Buchpublikation bemüht, ja, angesichts entsprechend abfälliger Bemerkungen, die uns von ihm über den einen oder anderen überliefert sind, an den er sich hilfesuchend wandte, möchte man beinahe sagen, er habe Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt. Zu den in dieser Angelegenheit kontaktierten Personen gehörten unter anderem Grete Karplus (die spätere Ehefrau Theodor W. Adornos), Ernst Bloch, Hermann Hesse, Franz Glück, der von ihm wenig geschätzte Klaus Mann, sowie eine gewisse Heidi Hey, mit der zusammen er 1938 eine Art Privatdruck der Berliner Kindheit geplant zu haben scheint. Zu den angesprochenen Verlegern gehörten Gustav Kiepenheuer und Ernst Rowohlt (der einem Druck gar nicht abgeneigt war, nur verlangte er, daß Benjamin erst einmal seine Schulden bei ihm bezahle), Erich Reiss in Berlin und Reichner in Wien, schließlich - das war im Jahre 1940! - Emanuel Querido in Amsterdam. Dessen Lektor, Fritz Landshoff, lehnte die Veröffentlichung angesichts der veränderten politischen Verhältnisse zwar auch ab, aber er ließ seinem negativen Bescheid eine Bemerkung folgen, die zeigt, wie nah Erfolg und Mißerfolg im Falle Benjamins beieinander standen: Ja, antwortete Landshoff im April, wenn ihm das Buch früher angeboten worden wäre, hätte er es sofort gebracht. Habent libelli mei sua fata tragica, möchte man in Ergänzung eines von Benjamin häufiger geäußerten Stoßseufzers sagen.
Den Band beschließt sein Verzeichnis der gelesenen Schriften, als detaillierte Geschichte einer intellektuellen Sozialisation wahrlich ein einzigartiges Dokument, das erst noch systematisch und umfassend ausgewertet sein will. In Hinsicht auf die jahrelang kontrovers geführte Diskussion um seine Marxismus-Rezeption klärt diese Liste einiges, vor allem auch im Zusammenhang mit der hier endlich abgedruckten, einst von Max Horkheimer sekretierten „zweiten“ Fassung des Aufsatzes über Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Demnach waren seine Kenntnisse der einschlägigen Quellenschriften eher solche aus zweiter und dritter Hand: Er entnahm sie den Werken Karl Korschs, Georg Lukacs‘ und Ernst Blochs, Bucharins, Rjazanovs und Wittfogels. Von den Klassikern selbst hingegen kannte er lediglich einige kleinere Schriften: Die Klassenkämpfe in Frankreich, den Achtzehnten Brumaire, die Randglossen zum Gothaer Programm sowie allenfalls einzelne Kapitel aus dem Marxschen Kapital.
Der Apparat bringt neben den notwendig gewordenen Korrekturen einige Ergänzungen zu den voraufgegangenen Bänden, weitere Briefe zur Entstehungsgeschichte des Passagenwerks sowie Materialien und Paralipomena zu zahlreichen Essays und Artikeln (zum frühen Sprachaufsatz, zu den Reflexionen über das mimetische Vermögen, zu den Arbeiten über Karl Kraus, Kafka, den Erzähler Leskow sowie last but not least jenen über Charles Baudelaire). Zu den interessanten Stücken darunter zählt ein Brief Hugo von Hoffmannsthalsan den Kanzler der hebräischen Universität, Judah Leon Magnes, vom April 1928, in dem der schöne Satz steht, der Autor des Buches über denUrsprung des deutschen Trauerspiels lasse seinen Leser der Sache nicht ansichtig werden, sondern werfe ihn einfach in deren Tiefen hinein. Einem in den Zusammenhang der Deutschen Menschen gehörenden Blatt ist zu entnehmen, welche weiteren Dokumente Benjamin dieser Anthologie einverleibt hätte, wäre es ihm vergönnt gewesen, sie, wie schon früh geplant, bei Gelegenheit ihrer Buchveröffentlichung auf den doppelten Umfang zu bringen. Da hätten wir dann vermutlich seinen Kommentar zu Kleists berühmten Schreiben über die Gründe seines Abschieds vom Militär (um sich den Wissenschaften zu widmen, eine Entscheidung, die sich seinem „Wunsche“ verdankte, einfach nur „glücklich zu sein“) zu lesen bekommen; des weiteren solche zu Briefen Heinrich Voß‘ an Jean Paul, Karl August Bürgers, Seumes, Georg Forsters, Savignys und Hippels.
Daß man auch im Nachtragsband zu den Gesammelten Schriften wiederum das eine und andere Schriftstück vergebens sucht - die Herausgeber werden dafür nur zum Teil gute Gründe ins Feld führen können. Was fehlt, sei hier wenigstens kurz aufgelistet:
-Im Amsterdamer Archiv für Sozialgeschichte liegt ein von Benjamin in seiner Funktion als Vorsitzender der Berliner Freien Studentenschaft zusammen mit den übrigen Präsidumsmitgliedern (u.a. Fritz Heinle, Bernhard Reichenbach, Jochaim Kaiser und der Sohn Käthe Kollwitz‘, Hans) verfaßtes Rundschreiben (datiert vom 25.Juli 1914!), das einerseits Aufschluß gibt über die Aktivitäten dieser jungen Berliner Studenten, andererseits aber vor allem ein Licht auf die mit harten Bandagen geführten Auseinandersetzungen innerhalb der Organisation wirft (hinter den Antagonisten der „Benjamin-Gruppe“ stand übrigens die Person Walther A. Berendsohns, des späteren Nestors der deutschen Exilforschung).
-Auf die Existenz einer von Benjamin mitunterzeichneten Petition zugunsten seines aufgrund pazifistischer Umtriebe relegierten Kommilitonen Ernst Joel hat bereits Ermut Wizisla in mehreren Arbeiten (publiziert in der 'Wissenschaftlichen Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin‘) hingewiesen.
-Die im Band IV wohl zwar erwähnte, aber eben nicht gedruckte (holländische) Vorstufe des Kaiserpanoramas liegt seit 1984 in einer zweisprachigen Veröffentlichung vor (Analytische Beschreibung von Deutschlands Untergang. In zwanzig Thesen, Raubdruck). Man hätte von daher vielleicht die nicht unerheblichen Abweichungen von den übrigen, uns überlieferten Fassungen dieses Stücks aus der Einbahnstraße verzeichnen können.
-Eine von Benjamin mitunterzeichnete Erklärung aus dem Jahre 1928, die in den Zusammenhang gewisser Auseinandersetzungen zwischen dem Herausgeber der 'Literarischen Welt‘, Willy Haas, dem Kritiker Alfred Kerr und Robert Musil gehört, findet sich in jeder besseren Musil -Ausgabe.
-Im Moskauer 'Wort‘ wurden ohne Hinweis auf den „Zulieferer“ einige Briefe veröffentlicht, die aus dem Fundus der Deutschen Menschen stammen.
-In Jerusalem findet sich noch der eine und andere unbedeutendere Autograph, wie beispielsweise ein seinem „hochverehrten Schwager“ Fritz Radt dediziertes Gelegenheitsgedicht aus dem Jahre 1915 oder 1916.
Kleinigkeiten das alles - zugegeben: Aber hätte man ihnen nicht wenigstens eines der zahlreichen Register opfern können? Die Verzeichnisse mögen dem einen oder anderen hilfreich sein, aber erstens sind sie durch entsprechende Register zu den voraufgegangenen Bänden der Gesammelten Schriften (das dem zweiten beigegebene Vorläufige Inhaltsverzeichnis Band I bis IV sowie jene im Anhang zum III. und VI. Band befindlichen) mehr oder minder überflüssig (es hätte eines zum Nachtragsband genügt) und zweitens fehlen die wesentlichen: ein Sach- und ein Personenregister. Am schwersten freilich wiegt der Verzicht auf den Abdruck einer umfangreichen Benjaminschen Lichtenberg-Bibliographie. Daß sie „nicht in den Zusammenhang seiner gesammelten Schriften“ gehöre, das will überhaupt nicht einleuchten, erst recht nicht in Anbetracht der Tatsache, daß wir im Nachtragsband nun schon zum x-ten Mal mit einer Bibliographie der zu Lebenzeiten Benjamins gedruckten Arbeiten des Herausgebers Rolf Tiedemann beglückt werden, die zwar um drei bis vier Titel seine voraufgegangenen ergänzt, aber eben nun auch schon seit über zwanzig Jahren die stets selben Fehler enthält (um gar nicht davon zu reden, daß sich all diese Daten doch ohne größere Schwierigkeiten den Anmerkungen zu den einzelnen Schriften entnehmen lassen). - Daß bei Gelegenheit einer Zweit- oder Drittauflage der ganzen Ausgabe ein wenig Ordnung in ihr Durcheinander gebracht wird, wie es sich fast zwangsläufig aus einer zweifelsohne komplizierten Überlieferungslage sowie vor allem den Eitelkeiten auf dem Markt der großen und kleinen Benjamin-Entdeckungen ergab, bleibt - soviel sei zum Schluß gesagt - zu hoffen.
Die Gelegenheit dieser Besprechung sei abschließend noch dazu genutzt, auf wenigstens zwei Veröffentlichungen der letzten Zeit hinzuweisen, die die Benjamin-Leser interessieren mögen. Da ist zum einen ein Band des Osnabrücker Germanisten Klaus Garber, betitelt Rezeption und Rettung (erschienen bei Niemeyer in Tübingen), der neben zwei lesenswerten Studien zr rezeptionsästhetischen (Benjamins ästhetische Theorie der Rezeption) bzw. -geschichtlichen Fragestellungen (die bislang umfassendste Darstellung derStationen der Benjamin-Rezeption 1940 bis 1985) einen Essay über Benjamins Bild des Barock enthält, der ohne jeden Zweifel die bis dato eingehendste und kenntnisreichste Studie zum Ursprung des deutschen Trauerspiels darstellt. In ihm wird exemplarisch vorgeführt, wie selbst die schwierigen Frühschriften Benjamins fruchtbar zu machen sind, einerseits für streng germanistische Debatten, andererseits aber auch für politische Diskussionen. - Bei dem zweiten Werk, das hier kurz erwähnt werden soll, handelt es sich um einen von Giulio Schiavoni (Verfasser der ersten Benjamin-Monographie in Italien, erschienen bereits 1980 im Palermitaner Verlag von Enzo Sellerio unter dem Titel Walter Benjamin. Sopravvivere alla cultura) und Enzo Rutigliano herausgegebenen Sammelband mit dem treffenden Titel Caleidoscopio benjaminiano (Rom: Istituto Italiano di Studi Germanici). Der Band enthält zahlreiche im deutschen Sprachraum kaum bekannte Arbeiten: Eine (aus dem Spanischen übersetzte) Rekonstruktion Juanjo Fernandez‘ der Geschichte von Benjamins verschwundener schwarzer Flucht-Ledertasche, eine Erwiderung Werner Fulds auf die Kritiken an seiner nunmehr schon vor zehn Jahren erschienenen Benjamin -Biographie, eine kleine ironische Bemerkung Cesare Cases‘ zur Benjamin-Rezeption, Aufsätze von Umberto Gandini (Benjamin e la radio), Furio Jesi (zur Sprachtheorie) und Remo Bodeis (eine vergleichende Analyse der Paris -Darstellungen Benjamins und Kracauers) und anderes. Das Buch beschließt eine geradezu vorbildliche und ausführlich kommentierte Bibliographie zur Benjamin-Rezeption in Italien. Ein Namensverzeichnis mit einem Werkregister erinnert nur noch einmal daran, was eigentlich zu einem wirklich „edierten“ Sammelband gehört.
1 Das Wissen um die Existenz der zahlreichen Schulunterlagen - im Archiv des Westberliner Pädagogischen Zentrums liegen sämtliche Abiturarbeiten Benjamins, einschließlich der Griechisch-Arbeit, wegen der er beinahe durchs Abi geflogen wäre, des weiteren sein „Einjährigen„-Ausatz zum Thema Der Beruf der Glocke (Im Anschluß an Schillers „Lied von der Glocke“), sowie Zeugnisse, Protokolle der Prüfungskommission, Berurteilungen u.a.m. - schulden wir übrigens dem (Ost)Berliner Benjamin-Forscher Erdmut Wizisla.
Walter Benjamin: Gesammelte Schriften, unter Mitwirkung von Theodor W. Adorno und Gershom Scholem, hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Band VII: „Nachträge“. Hrsg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser, unter Mitarbeit von Christoph Gödde, Henri Lonitz und Gary Smith, mit 24 Abb., 1989, 2 Bände, 1024 Seiten, 120 DM
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