Geiselnehmer hatte nur Schreckschußpistole

■ In Essen ließen sich SEKler von einer Attrappe täuschen

Essen (taz) - Der Geiselnehmer von Essen, der am Mittwoch von einem Sondereinsatzkommando getötet wurde, war nur mit einer Schreckschußpistole bewaffnet. Es handelt sich um einen Nachbau einer Pistole vom Typ Beretta, der im Handel frei erhältlich ist. Das gaben Polizei und Staatsanwaltschaft einen Tag nach dem SEK-Einsatz bekannt.

Der 36jährige Theo W. hatte am Mittwoch mittag in Essen -Katernberg einen Anwalt in seine Gewalt gebracht und gedroht, ihn und sich selbst zu erschießen, wenn er nicht mit seiner Frau sprechen könne. Der Jurist vertrat W.s Frau im laufenden Scheidungsverfahren. Die beiden Sekretärinnen des Anwalts ließ er gehen; sie informierten die Polizei. Diese riegelte das Gebäude ab, einige Beamte schlichen sich unbemerkt in die Kanzlei. In Telefongesprächen mit Verhandlern des Landeskriminalamtes hatte sich der Geiselnehmer, so die Polizei, entschlossen gezeigt, seine Drohungen wahr zu machen. In „einem günstigen Moment“, so der Pressesprecher der Polizei, stürmten SEKler den Raum.

Nach Angaben des Anwalts, der hinter dem Schreibtisch in Deckung ging, drehte Theo W. sich um, zog seine Pistole und zielte in Richtung der SEKler, die auf ihn schossen. Sekunden später brach er zusammen. Die Obduktion ergab am Freitag, daß ein Schuß seine Brustschlagader durchschlagen hatte. Er starb im Essener Klinikum. Der Anwalt wurde unverletzt aus seiner Kanzlei geführt.

Die Einsatzleitung im Polizeipräsidium hatte grünes Licht für die Stürmung der Kanzlei gegeben. Zu dem Einsatz waren auch Beamte des SEK vom Prozeß gegen die Gladbecker Geiselnehmer abgezogen worden, der darauf unterbrochen wurde.

Bisher wurde keine Strafanzeige gegen Einsatzleiter oder am Einsatz beteiligte Beamte erstattet. Nach den bisherigen Ermittlungen, so die Essener Staatsanwaltschaft, könne sie noch keine Aussagen über mögliches Fehlverhalten machen.

Schon im Juni vergangenen Jahres töteten Polizeibeamte in Essen einen dreizehnjährigen Jungen nach einer wilden Verfolgungsjagd. Der Junge hatte auf seiner Flucht nach einem Mofa-Unfall die Pistole eines Beamten an sich gebracht und damit gedroht und geschossen, jedoch niemanden getroffen. Die Ermittlungen gegen die beiden Beamten, die den Jungen schließlich in einem Kleingarten niederstreckten, wurden Ende letzten Jahres eingestellt.

Bettina Markmeyer