Berber übersiedelte nach Leipzig und zurück

■ In nur vier Wochen wurde der obdachlose Christian B. zum Übersiedler in Ost und West / Suche nach Familie

Christian B. sitzt entnervt und mutlos wieder da, wo er Anfang Dezember hoffnungsvoll zu einem neuen Leben aufgebrochen war: In den Amtsstuben, in denen in Bremen das Elend verwaltet wird. Christian B., 41 Jahre alt, ist seit Jahren arbeits- und (in Abständen) obdachlos. Das Öffnen der innerdeutschen Grenzen hatte den gebürtigen Leipziger auf die Idee gebracht: „Ich mach rüber“. Doch schon knapp drei Wochen nach seinem Übersiedlungsversuch landete B. erneut in der Bundesrepublik, diesmal als Übersiedler aus der DDR.

Zunächst nach Oldenburg ins Übergangswohnheim Blankenburg verteilt, erfuhr Christian B. dann handfest, was es heißt, zwischen den beiden Systemen hin-und herzusiedeln: „Ich stand da ganz schön unter Druck“ erzählt B. und betont: „Das ist kein Prahlen, aber die (anderen Übersiedler) haben mir ganz schön Schläge verpaßt. 'Erst hast'e bei

uns abgestaubt und jetzt willst'e hier wieder abkassieren'“, berichtet B. von den Auseinandersetzungen in Blankenburg.

Zusammen mit einem Kumpel, mit dem er auf dem Hamburger Dom Karussells abgebaut hatte, wollte B. Anfang Dezember zum DDR -Bürger werden. Aber: „Wir hatten uns das alles viel einfacher vorgestellt.“ Die mühsam erjobbte Fahrkarte Hamburg-Berlin, für die beiden Berber die subjektiv wohl höchste Hürde, war erst der Anfang einer Reihe von Schwierigkeiten. „Wir haben uns die halbe Nacht am Bahnhof Zoo herumgedrückt, bis wir morgens endlich mit einem höheren Offizier am Übergang Friedrichstraße reden konnten.“ Dem trugen die beiden ihren Übersiedlungswunsch vor, gaben ihre bundesdeutschen Pässe ab und wurden in ein Aufnahmelager für Rückkehrer verfrachtet. „Drei Tage lang hat uns der Stasi verhört. Die wollten uns aushorchen,

ob wir beim Militär waren usw.“

Mit einem vorläufigen DDR-Paß, Marschverpflegung und 30 Mark Reisekosten ausgestattet, brach Christian B. schließlich zu seiner alten Heimatstadt Leipzig auf, wo er seinen älteren Bruder zu finden hoffte: „Ich mußte allerdings auch dort erst in ein Aufnahmelager. Und nur, weil mir einer von der Heimleitung 20 Mark aus seiner eigenen Tasche zusteckte, konnte ich übers Wochenende frei bekommen, um meinen Bruder zu suchen.“ Den fand er dann auch, und mit Bruderhilfe quälte Christian B. sich dann durch die DDR-Bürokratie: Vorstellung in der Abteilung für Gesundheitswesen des Bezirks Leipzig, polizeiliche Meldung, Vorstellung in einer Konservenfabrik - bis hin zu den 290 Ost-Mark Überbrückungsgeld.

Den Job in der Konservenfabrik hätte B. drei Tage später antreten können, eine der verlassenen Wohnungen von DDR -Flüchtlin

gen stand auch in Aussicht - eine „echte Chance“ also für den Mann, der seit Jahren in Bremen und umzu mutterseelen allein „auf der Rolle“ war. Doch drei Tage vor Weihnachten fiel dem Bruder (Vater von sechs Kindern und Arbeiter in einer Zementtankstelle) ein: „Ich geh lieber mit dir in den Westen.“

Die beiden besorgten ein Visum, tauschten 15 Mark-Ost in harte 15 West Startkapital und zogen los. Vom überfüllten Aufnahmelager in Hannover weitergeschickt, verbrachte Christian B.

Weihnachten schon wieder allein - in Blankenburg, während sein Bruder nach Augsburg verteilt worden war. Aus Blankenburg geflohen, versucht B. jetzt, in Bremen Fuß zu fassen - Begrüßungsgeld bekam er nicht, dafür aber den Kostenübernahmeschein vom Sozialamt, wo in seiner Akte ein neues Kapitel beginnt. Seinen provisorischen BRD-Paß hat B. inzwischen verloren: „Wären Sie bloß drüben geblieben“, bekam er daraufhin in Bremer Amtsstuben zu hören.

ra