Deutsche Einheit für 80 Pfennig

■ taz-Serie zum Kennenlernen von Ost-Berlin / ?-Teil: Rezension über das Ost-Berliner Telfonbuch / Von Telegrammen, Ansagediensten, Anrufbeantwortern und der Opposition

Es ist gelb, dick und alphabetisch sortiert - das „Fernsprechbuch“ der Hauptstadt der DDR. So besehen nichts besonderes. Und doch ist es eine der kleinen Pforten, die sich dem interessierten Westler in den letzten Wochen in Richtung DDR geöffnet haben. Telephonhasen und Datenwanderer mögen müde lächeln - die Anderen bekommen vielleicht Lust zum Mitreisen auf der Zwillingslitze.

Endlich die Nummer der „Aufzugswartung Berlin VEB“ zu haben, mag den Aufwand der Beschaffung nicht rechtfertigen doch wie wäre es mit der „Skiausleihstation Püttberge“? Das ewige Suchen nach einer Gaststätte - die Seiten 147 bis 151 geben Auskunft. Wo ist der nächste „HO„-Laden? Schlag nach: die Deutsche Post sagt es Dir. Ein Schmuckblatt-Telegramm in die DDR? Was bisher passend zum Text von der Ostpost erledigt wurde, kann man jetzt selbst: ein geschmackvolles Motiv aussuchen. Wie war das nur in der Vergangenheit? Vielleicht passt ja der West-Hampelmann (lx h) zum Ost -Internationalen Frauentag (lx 44). Und wo man im Westen ein riesiges glucksendes Kindergesicht (lx a) an die Eltern Neugeborener verschickte, bekommt man im Osten gleich die Warnung frei Haus: eine mit Babyklamotten behängte Wäscheleine betont den eher arbeitsreichen Alltag (lx 56). Gelungen ist auch das Thema „Jugendweihe“: Aufrecht und nach vorne schauend der glatte Jüngling, dem man trotz schwarz -rot Druck noch die blauen Augen ansieht, seine Freundin etwas abgewandt mit leicht nach innen gekehrtem Blick (lx 47). Ob man da bei der Bundespost das reitende Paar (lx e) beilegt?

Schön sind auch die zusätzlichen Leistungen der Deutschen Post. So können zum Beispiel Blitzgespräche angemeldet werden. Die kosten das 10fache, wenn denn innerhalb von 20 Minuten in Dresden auch jemand an den klingelnden Apparat 'rangeht. Nach 90 Minuten wird dann aus dem „Dringenden Gespräch“ ein Normales. Sinn für Realität ist also vorhanden. Schade nur, daß wir aus dem Westen all diese Leistungen nicht direkt erreichen können: Sämtliche Nummern mit einer Eins am Anfang - dazu zählen auch die Ansagedienste wie der Bühnenspielplan (1240), Kinoprogramme (1242 - 1245) oder Uhrzeit (19) - sind nur aus Ost-Berlin anzuwählen. Nach Auskunft der Post-Bezirksdirektion wird sich dies auch in nächster Zeit wegen bekannter technischer Probleme nicht ändern.

Natürlich gibt es in der Hauptstadt auch Anrufbeantworter: Genau 105 verzeichnet unser Nachschlagwerk auf seinen 640 Seiten. Seit Redaktionsschluß seien allerdings noch einige hinzugekommen, bemerkt die Ost-Post mit Nachdruck. Die schöne Vorstellung eines stotterfreien Telefonverkehrs, auch im Osten bald passe?! Was man da wohl an Ansagen zu hören bekommt - „Hallo. Ich bin heute tanken. Ich rufe dann zurück“? Und wer immer schon 'mal wissen wollte, was es denn eigentlich den Ost-Freund kostet, im Westen anzuklingeln: 0.80 Mark die Minute. Das kommt uns doch günstiger: Die Einheit zu sechs Minuten Ost-Berlin.

Natürlich braucht sich unser Telefonbuch in Sachen Staatstreue nicht vor anderen Publikationen zu verstecken. Doch wie so oft, auch hier steckt die Opposition im Detail. Wer genau ließt, findet da zum Beispiel den VOB Demos (482 84 11) und auf Seite 572 gleich einen ganzen Wutausbruch der SäzzerIn in Bleisatz gehauen. Dort lesen wir von einem Herrn Umhauer und einem Unbescheid, ganz Undeutsch wird es, Unfug. Unverzagt erzeugen Ungewisse Ungethüme Unruhig Unrath. Dabei war Redaktionsschluß schon Januar 1989!

Joachim Schurig

Das „Fernsprechbuch“ erhält man für sechs Mark im Fernsprechamt in der Tucholskystraße an Werktagen vormittags, dienstags auch nachmittags