Wahlkampf mit Rosa Luxemburg und Karl L.

■ SPD der DDR gedenkt den ermordeten Sozialisten / Momper will „Geschlossenheit“ mit Opposition / Nur noch 112 Tage bis zum 6.Mai

„Von nun an sind die Namen Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts nicht mehr okkupiert“, verspricht Ost-Berlins SPD-Geschäftsführer Ibrahim Böhme vom Rednerpult auf dem Alexanderplatz und spielt dabei auf den herben Machtverlust der SED an. Gestern mußten die beiden Sozialisten, die heute vor 71 Jahren ermordet in den Landwehrkanal geworfen worden waren, dann auch sofort für den gerade begonnenen Wahlkampf der SPD-DDR herhalten. Tausende waren auf den Platz gekommen und zogen am Ende der Veranstaltung zum Gedenkstein der „Märzgefallenen“ im Volkspark Friedrichshain - an der Spitze des Zuges West-Stadtchef Walter Momper mit obligatorischem roten Schal, Hand in Hand mit Anne Momper und dem Ostberliner SPD-Geschäftsführer. Ein Pulk von Pressefotografen stolpert vor der Prominenz her.

Böhmes Vorredner, ebenfalls von der Ost-SPD, hatte offenbar mehr Schwierigkeiten, Rosa vor den Karren der SPD zu spannen: „Diese Frau gehörte nicht der SPD und nicht der KPD, die Frau war - was es selten gibt - ein freier Mensch.“ Und kritisch fragte er in die Menge: „Welcher Kreisverband hätte sie heute zur Delegierten gewählt?“ Er erinnerte daran, daß Rosa Luxemburg manchen auch deshalb unbequem war, weil sie Polin war. Vor dem Gedenkstein im Volkspark legten die SPD-Vips aus beiden Teilen der Stadt drei Kränze nieder, ehrten Luxemburg, Liebknecht und die „Opfer von Militarismus, Faschismus und Stalinismus“. Verschämt liegt auch ein Kranz der SED-PDS vor der Gedenktafel. „Den Opfern der Reaktion 1919“, heißt es auf dem roten Trauerflor zurückhaltend. Ältere Leute zünden Kerzen an und versuchen sie festzuwachsen.

Der 6.Mai ist nicht mehr fern, war eine halbe Stunde vorher eine immer wiederkehrende Mahnung auf dem Alexanderplatz. „Wir müssen schnell erfolgreich sein, dadurch können wir nur auf Altbewährtes zurückgreifen“, schallt es aus den zig Lautsprechern, und hallt es von den Fassaden des Centrum -Kaufhauses und des Reisebüros der DDR auf die Masse mächtig zurück. Und die parlamentarische Demokratie sei altbewährt, so der Redner weiter. Gastredner Momper gab von dem Podest unter wehenden West-SPD-Fahnen, an seine neue Schwesterpartei Tips, schließlich kennt er das angepriesene Regierungssystem. Der Bürgermeister und Vorsitzende der Sozis von West-Berlin rät zur Geschlossenheit mit der Oppositon. Und er versteht das Politgeschäft besser als seine ungeübten Vorredner. Mit Sprechblasen wie „eure Leistung“, „große Ereignisse“, „deutsche Geschichte“ lobt er die Masse, und versucht so, billig Stimmung zu machen. Die Masse läßt sich dann auch genauso begeistern wie Mompers Basis in der Heimat.

Mompers Aufruf zur Geschlossenheit bleibt auf der Wahlkampfkundgebung das einzig Konkrete. Die Ost-SPDler kommen über die Worte des Regiermeisters nicht hinaus. „Wir können keine kompleten Lösungen anbieten“, gibt die Ost -Berliner SPD-Vorsitzende Anne-Katrin Pank zu, „aber wir stehen für eins: das Prinzip Demokratie“. Ob das reicht? Denn das behauptet von sich auch jede andere Partei, die am 6.Mai Prozente machen will. Immerhin, mit der neuen Namensgebung vom Wochenende, knüpft die vormals genannte SDP an „125 Jahre Sozialdemokratie“ (Momper) an, und fällt es West-Walter noch leichter, „Hilfe, wann immer ihr sie wollt“, zu versprechen. Das dürften im Mai ein paar Prozente bedeuten.

Die Zuhörer waren bei den Reden der Ost-SPDler über den zahmen Umgang mit der SED enttäuscht. Als Pank „der SED die Macht nehmen“ will, muß erst einmal die Menge rufen: „Der Stasi auch, der Stasi auch“, damit die Berliner Vorsitzende auch den repressiven Sicherheitsdienst erwähnt. Ein Teilnehmer forderte auf seinem grünen Pappschild gar: „Stasi weg, SED weg, keinen Verfassungsschutz“.

Aber nicht nur ungeduldige Zuhörer erinnern an die arbeitslos gewordenen Spitzel. Auch etliche Kameras auf den Dächern rund um den Alex. Manche bewegen sich während der Kundgebung. Aber ein VoPo weiß Ängstliche zu beruhigen. Es würde für den Fall beobachtet, daß Gruppierungen die Veranstaltung stören sollten.

Nicht nur die SPD wußte das Gedenken an Luxemburg und Liebknecht zu nutzen. Die SED war ebenfalls aktiv. 100.000 Menschen nahmen nach Angaben der Polizei an einer Demonstration zur Gedenkstätte im Stadtteil Friedrichsfelde teil. Neben der „Partei des Sozialismus“ riefen auch der Frauenbund, die FdJ und weitere Parteien und Organisationen zur Kundgebung auf. Kränze wurden auch von Staatsratvorsitzenden Hans Modrow und Vertreter der Volkskammer niedergelegt. Die Polizei war mit den Veranstaltern eine „Sicherheits-Partnerschaft“ eingegangen. Inwieweit die SED daran erinnerte, daß es in den vergangenen Jahren anläßlich von Kundgebungen am 15.Januar zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Oppositionellen und ihren Sicherheitskräften kam, meldeten die Agenturen nicht.

Dirk Wildt Siehe auch Bericht auf Seite 2