ABONNENTENBETRUG

■ "Alles im Garten" im Renaissance-Theater

Alles im Garten im Renaissance-Theater

Das Studio des Renaissance-Theaters hat aus guten Gründen jeglichen Verweis auf's Stammhaus aus seinem Namen getilgt. Nicht weil hie niedere, dort hohe Kultur geboten würde, hier Boulevard, da Kunst, sondern und kurz, weil zumindest nach Alles im Garten das Renaissance-Theater für alles Hassenswert-Verlogene, für die restaurativsten und reaktionärsten Tendenzen des Theatertheaters zu stehen hat. „Zerhauen, zerhauen, man muß das Theater zerhauen“, sagt Autor Rainald Goetz und hätte sicher im Traum nicht dran gedacht, daß das Zerhauen dem eigentlich doch authentisch Tollblöden, der Heimat von Harald Juhnke, zu gelten hat. Nichts gegen Boulevardtheater, das läßt bei aller Lebensferne dem Zuschauer die Distanz, die er zur Unterhaltung braucht. Doch unter Klingenberg, der unterhaltend Problembewußtsein vermitteln will, ist aus einer Zuflucht der Beladenen, Erquickung der Abonnenten, ein Theatertodschlagtheater, ein Lebensentwertungstheater geworden. “...wenn wir nur ein paar Kerle hätten! Es wäre gar keine große Kunst, dieses ganze Sau-'Theater‘ in die Luft zu sprengen...“ (Otto Grosz).

In Ede (Wer hat Angst vor Virginia Woolf) Albee's „Außenseiterstück“ Alles im Garten geht es um „die Leiche, die wir alle im Garten vergraben haben“. Das „muß nicht die Leiche eines Ermordeten sein, es kann der Kollege sein, den man ausgetrickst hat, der andere, dem man die Frau ausgespannt hat“. Albee zeigt nicht, so das Programmheft, „wie unmoralisch das ist, er zeigt nur wie traurig es ist, ... so viel ärmer zu werden, wenn man immer reicher werden will.“ Etc. Lalala. Traurig. Sehr traurig. Schlichtweg deprimierend. Ich war noch Stunden danach, obgleich bei den schönsten & liebsten Freunden: schlecht gelaunt. Unglücklich. Melancholisch.

Die dreiste Widerwärtigkeit dieser Inszenierung beginnt bereits beim verbrecherischen Bühnenbild von Roman Weyl. Während man beim Vorhang - Rosen, Rosen, schönste Rosen noch auf romantische Übertreibung hoffen konnte, erübrigte sich nach dem Hinaufziehen des Vorhangs bereits jeglicher Versuch Theater zu spielen: ein Filmbild in Kodakfarben, das in seiner peinlichen Masturbationss(t)imulationsgenauigkeit jeglichen Gedanken des Zuschauers ausschloß, um ihn gleichzeitig, im Text, mit dümmlichen Versatzstücken seiner Vorstellungen - also wie das Wichsheftchen - zu ködern und hineinzuziehen. Daß so auch jede Präsenz der Schauspieler, die man nur fragen kann, ob es ihnen schon völlig egal ist, was sie machen, ausgeschlossen war, sei nur am Rande vermerkt.

Ort des Geschehens ist ein herrschaftliches Wintergartenwohnzimmer - Kamin, Sitzecke, Sekretär. Ein Ehepaar um die vierzig streitet sich um's Geld. Er will einen Motorrasenmäher haben, sie ein Gewächshaus und - das ist witzig - beide rauchen Zigaretten, die ihnen nicht schmecken, weil in den Schachteln Rabattmarken drin sind. Kurz, Richard & Jenny leben über ihre Verhältnisse. Draußen (V-Effekt!) steht als Conferencier ein netter Millionär, der uns kommentierend ein- und ausführt. Vom Nie-Gelebthaben spricht er - Geld macht nicht glücklich - und davon, daß er Leute kenne, die gelebt - „sich umgebracht haben zum Beispiel“. Ha, Ha! Zu wenig Geld korrumpiert - so ziert sich Jenny nicht lange und verdingt sich in einem Luxusbordell. Am Ende kommt raus, daß sich alle reichen Frauen des juden und negerlos besseren Viertels prostituieren. Und die möchtegernreichen Männer finden nix dabei und sind außerdem Rassisten. Und der echte Reiche, der betrunkene Millionär, deckt den Skandal auf und wird deshalb zur Leiche gemacht. So ist das Leben. Jeder hat Leichen in seinem Keller. Etc.

Alles an diesem Stück ist abstoßend: die Bühne, die ständigen Versuche, dem Publikum auch noch den letzten Rest von Würde - seine Unsicherheit zu nehmen, indem es durch verfälschte Versatzstücke eines veranstaltet alltäglichen Lebens dazu gebracht werden soll, sich in das Stück zu integrieren oder identifizierend abzustoßen - Geldsäcke mögen keine Juden und Neger -, die eingestreuten Peinsackzoten - wenn von „Bumserinnen“ die Rede ist, wenn's heißt „genau wie in der Ehe - rauf und runter, rauf und runter“ usw. Kurz: Eine Schweinerei.

Arme Abonnenten! Die ganze Woche im Streß - harte Arbeit, karger Lohn. Dann das Wochenende: Theater! Aufregung! Nervös und schüchtern zieht man sich das Schönste an und immer kommt man zu früh, steht rum wie bestellt und nicht abgeholt. Vorm Fernseher ist es einfacher. Im Theater macht sich ein leises Unbehagen breit; also losgeklatscht. Immer Bruchteile einer Sekunde zu früh.

In der Pause steht der rauchende Abonnent im Kalten; die ihn umgebenden Körper nehmen zu in einer Körperlichkeit, die jede zufällige Berührung widerlich werden läßt. Und am Ende wird wieder geklatscht. Zu viel geklatscht. Unsicher geklatscht gegen die, die frech früher gegangen sind. Aber da war doch ein Lächeln im Gesicht von Friedrich Luft? Es wird doch gut gewesen sein. Mal nachschauen im Programmheft. Große Namen - Bloch, Erich Fromm, Heinrich Böll, Sigmund Freud - erklären alles. Was man selber zu sagen hat, klingt dagegen ein bißchen peinlich.

Detlef Kuhlbrodt