Verzicht aufs Unterschwellige

■ Langzeitserie „Vier im Revier“ seit einem Jahr auf Kanal 4

Kanal 4, das alternative Kuckucksei im Nest des Luxemburger Sex- und Torten-TV, kam bisher nur dann in die Schlagzeilen, wenn die Ausstrahlung von Walraffs Ganz unten kolportiert werden sollte, irgendwelche fadenscheinigen Programmänderungen den Sendeplatz von Kanal 4 blockierten oder andere Gemeinheiten aus der Kölner Sendeleitung den Latzhosen-Fernsehmachern das Produzieren verleiden sollten. Inzwischen hat sich so etwas wie ein Burgfrieden eingestellt, und Kanal 4 wird so wahrgenommen, wie es RTL plus bestimmt paßt: nämlich gar nicht.

Schon der Sendeplatz samstags um die Mittagszeit ist die Offenbarung einer unausweichlichen Nulldiät, die die Moderatorin bald dazu zwingen dürfte, die Zuschauer namentlich zu begrüßen. Doch die Macher von Kanal 4 waren mutig - oder selbstmörderisch - genug, aus diesem Umfeld heraus noch einmal den potentiellen Kreis der Seher einzuschränken, indem sie eine Serie vom Stapel ließen, die im Raum Aachen spielt. Vier im Revier begleitet vier Menschen, die direkt oder indirekt vom Strukturwandel im Steinkohle-Bergbau berührt sind - in einer Langzeitbeobachtung über mehrere Jahre hinweg. Regisseur Dieter Zeppenfeld bezeichnet sie als „Familienserie“, deren Drehbuch das Leben der Figuren schrieb. Doch eine dokumentarische Variante zur Lindenstraße ist nicht bezweckt, die Dramaturgie der sozialen Wirklichkeit soll nicht der Unterhaltung dienen, sondern ernst genommen werden.

Ein hoher Anspruch, der dennoch scheitern muß - nicht nur am Seriensyndrom der endlos ausgewalzten Betroffenen-Lebens und Leidensgeschichte. Die Einbeziehung gesellschaftlicher und politischer Erfahrungen ist so neu nicht, eher ein Relikt aus den siebziger Jahren, das damals als Instrument der Aufklärung diente und nun an seine Grenzen zu geraten droht. Vier im Revier zeigt Stereotypen der gängigen Sicht von unten: Udo, der Bergmann, Mustafa, der ausländische Kollege, Margret, die Bergarbeiterfrau, und Jenny, die Pädagogin. Alle sind engagiert, vor allem Margret kämpft mit besonderem Einsatz - sie organisiert mit anderen Bergarbeiterfrauen eine Initiative zum Erhalt der Zeche.

Je mehr sich die Serie, die seit einem Jahr läuft, um die authentische Wiedergabe dieses Kampfes bemüht, um so fragwürdiger wird der gesamte Ansatz. Denn hinter der sozialromantisch verklärten Fassade des Engagement wird eine zweite Realität sichtbar, die viel entscheidender ist: die Immobilität der „Helden“. Mustafa will nicht weg, lehnt ein Angebot der Ruhrkohle ab, Margret wünscht sich eine Arbeitsplatz-Garantie über das Jahr 2000 hinaus. Nur Udo, der schweren Herzens umgesattelt hat, glaubt, daß die Steinkohle am Ende ist. Gewiß, den vier Ausgewählten ist daraus kein Vorwurf zu machen, daß sie sich an das unmittelbar Erreichbare klammern und jeder Veränderung skeptisch entgegenblicken. Trotzdem muß sich das Filmteam die Frage gefallen lassen, warum gerade dieses Bild transportiert werden soll. Denn darin unterscheidet sich Vier im Revier nicht wesentlich von bekannten Reportagen aus krisengebeutelten Regionen, auch wenn Dieter Zeppenfeld genau das in Abrede stellt: erst Hattingen, dann Rheinhausen, jetzt Sophia Jakoba im Aachener Revier. Der Journalist bleibt Krisenbeobachter und blickt nur auf das Vordergründige und Empörende. Dadurch gelingen zwar Momente der Betroffenheit - in einer festzementierten Welt. Authentizität heißt eben nicht nur, Ereignisse uninszeniert abzubilden; auch die Situation muß stimmig sein. Die „Familienserie“ klammert sich lieber an das Offensichtliche. Das Unterschwellige ist zwar ebenfalls vorhanden, es muß vom Zuschauer jedoch erst mühsam entziffert werden. Aber wer sitzt schon gern vorm Fernseher und liest zwischen den Bildern?

Christof Boy