ZWISCHEN DEN RILLEN

 ■  Horch Gevatter, wie's klappert

Das Problem an deutscher Popmusik sind und bleiben die Texte. Vor allem, wenn es ernst wird. „Wo einst Funken stieben, ist nur Staub geblieben.“ „Stieben“ oder „stoben“? Na, es muß sich halt reimen. Manchmal auch nicht: „Nie ein Mensch gewesen, klammert sich ans (...) Leben.“ „Leben“ oder „Lesen“? Wohl eher das letzte.

Die Erde: eine Band mit Bildungs-Background. Tobias Gruben, Sänger und Texter der seit ihrer Party-Single in England umjubelten Newcomer-Combo, muß tief im Fundus des elterlichen Bücherschranks gegraben haben, um unter März -Readern und Thesenpapieren auf ein paar verstaubte Bände Expressionismus zu stoßen. Und wenn er nicht gerade doch lieber englisch singt (ein Superslang-Englisch voller „dick“ und „prick“ und „borderline“), deklamiert er daraus: „Horch Gevatter, wie's stöhnt und wie's klappert.“ Kaum zu glauben, aber das Stück heißt auch noch Vater. „Gib mir den Segen, bald lischt der Regen mich aus.“ Halt ein, o Dichter! Du bist doch erst 23! Dichter hört nicht: „Ich gratuliere, ich salutiere dem Tod.“ 's ist zu spät, vorbei, vorbei: „Ich bin geschlagen, Blutleute tragen mich fort, auf allen vieren, die Starre erwartet mich dort.“

Der Plattentitel trifft es: Kch Kch Kch. Und es war abzusehen. Die Erde zog im vergangenen Jahr zusammen mit den Einstürzenden Neubauten dichtend, lärmend und brandschatzend durch die Lande. Mit den Neubauten (deren F.M. „Mufti“ Einheit diese erste LP produziert hat) hat man sie auch gerne verglichen. Doch wo Blixa Bargeld seine Ikonenwörter gezielt einsetzt und das O-Mensch-Pathos zu einem Paketchen schnürt, aus dem als eine Art Springteufel immer schon der Verpackungsschwindel herauslacht, verschießt Gruben sein Pulver im brusttönenden Beichtverfahren. Zu Blixa verhält er sich wie Batman zum Joker. Als asketischer Wertebewahrer macht er einfach die schlechtere Figur. Die Lyrikfaust, die ganz offensichtlich allem bloß Lustigem, bloß gut Gemachtem, bloß nölend vor sich hin Schrammelndem aufs Auge gedrückt werden soll, geht nach hinten los. Kein destruktives Moderne -Recycling, sondern ein deutschtümelndes Fifties-Revival: „Tag für Tag bricht mir die Scholle unter den Füßen entzwei, liebst du die Erde, baue ein Haus dir aus Stein.“ Da lacht nicht nur das Ozonloch. Schade um den ganzen Idealismus.

Allerdings schützt Alter vor Torheit nicht. Vom Schweizer Millionenerben Dieter Meier (Yello) moralisch und finanziell ermuntert, konnte der greise Hamburger Thekenmatador Kiev Stingl der Versuchung nicht widerstehen, eine weitere Probe seiner Kunst als selbsternannter Surrealismussuperstar abzuliefern. Stingls Umzug nach Berlin mag ein übriges dazu beigetragen haben, denn auch hier mischt die Neubauten -Landsmannschaft (Einheit an den Knöpfen, Alexander Hacke als Gitarrist) kräftig mit. „Es ist so geil, dir zuzusehn / Wie du deine Lippen schminkst / Ich bin verloren in deiner Näh'/ das ist es, was du willst.“ Das kommt gut, das haut rein. Es ist, „als schmatze ein geweihter Lümmel / auf einer Straße nach Houm Zouk / den jüngsten Schlitz der Welt“. Das schlingert durch lyrische Steilkurven und bricht sich schäumend „an den Hängen / die wie ein Sklavenmarkt mit Busenschenkeln protzen“. So wild treibt's nicht mal Wondratschek. Doch daß Stingl sich dem Berufsstand des Dichters angehörig fühlt, zeigt nicht nur das Textheft, das

-gewissermaßen als Zugabe - einige unvertonte Perlen in sich birgt. Er hat seinen Dramoletten auch Regieanweisungen beigegeben wie zum Beispiel „Tempo: schwer trunken“ oder „Verzögertes Furioso: Schmiede, Orgelpfeife und Grabplatte“, als würde nicht er, Stingl, höchstpersönlich die unnachahmliche und definitive Interpretation dieser Poeme, in schwarzes Vinyl gepreßt, abliefern, ja, als wolle er auf Nummer sicher gehen, daß auch im Fall eines baldigen Weltuntergangs, der alle Tonträgertechnologie mit sich in den Abgrund reißt, das Stinglsche Werk auf einem durch die Ewigkeit segelnden Fetzen Papier der Nachwelt erhalten bleibt. Hört her, Außerirdische, this was K.S., der besoffnen Erdensöhne letzter!

Das ist nun aber schon wieder radikal zu nennen, und man mag sich gar nicht vorstellen, was es bedurft haben muß, ein Leben heranzuzüchten, in dessen geistigem Wundergarten derartige Poesiegewächse blühen. Ehre, wem Ehre gebührt. „Ganz Deutschland (!) nackt (!!) auf Knien / vor einem einzgen Mann / der singt / wenn ihm zu Ehren / Ein Sonnengotte (?) nach dem anderen versinkt / Den Staub hab‘ ich noch immer an den Stiefeln.“ Stink ab, Artaud! Diese Seele brennt lichterloh! Da winkt auch schon Walhalla. Der lodernde Blödsinn gebiert aus seiner Mitte - sei's freiwillig, sei's unfreiwillig, wen kümmert das noch? - ein Liedgut, dessen objektive Prägnanz Robert Gernhardt oder sonstige Vertreter der Neuen Frankfurter Schule blaß werden lassen muß. Stingls Meisterwerk ist ein Strolch betitelter Song, den er gerne „lustig im Tempo und keck im Ausdruck“ interpretiert wissen will. Hier gibt er alles preis, Weltwissen, Erfahrungsschatz, sogar den Endreim: „Brokaten wölbt sich Schleier / Der Nacht auf die Idyll / Jetzt liegt der Strolch am Weiher / Mit Branntwein aus Scotland.“

Thomas Groß

Die Erde: Kch Kch Kch; Keiv Stingl: Grausam das Gold und jubelnd die Pest. Beide: What's So Funny About...