Ein Zerrspiegel unserer Gesellschaft

Beobachtungen in der Münchener Fußball-Fanszene / Fruchtbarer Boden für rechtsradikale Parolen / Politik spielt jedoch kaum eine Rolle / Vom Hooligan zum bezahlten Saalordner  ■  Tina Bausmann/Karen Pfundt

München (taz) - Hände schnellen vor, ballen sich zu Fäusten und schlagen ins Leere. „Sieg, Sieg“, schallt es aus dem Stadion. Dicht gedrängtstehen die Fans zwischen den Eisengittern und starren gebannt aufs Feld. Leise beginnen sie zu summen, werden lauter und brechen dann plötzlich ab, als Bayern seine Torchance verpaßt. Kurz vor der Halbzeit sacken einem betrunkenen Fan die Beine weg. Noch bevor ihn sein Freund hochziehen kann, wird er von zwei Polizisten unauffällig weggeführt. Für ein paar Sekunden scheint die Stimmung auf der Tribüne gereizt, dann wenden sich alle wieder dem Spiel zu. Um sie herum sind die Ränge leer.

Hier, in der engen Südkurve des Münchener Olympiastadions, „geht die Post ab“. Der Bayern-Fan Alex findet die Rituale der rot-weißen Schlachtenbummler „einfach nur krank“. Teilnahmslos beobachtet er die Begeisterung der Zuschauer. Mit seiner Wildlederjacke, seinem weißen Lacoste-Hemd und den schicken Bundfaltenhosen paßt er nicht so recht zu der bunten Fan-Gemeinde. Dennoch: Alex ist ein Hooligan, ein Schläger also. „Die normalen Fans, das sind doch zu 85 Prozent Deppen. Die wissen nicht, was sie da schreien.“

Hier sieht man Deutschlandfahnen, Springerstiefel, Bomberjacken und den Aufnäher: „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein.“ Die rot-weiße Masse rückt zusammen. Der einzelne ist nichts, die Gruppe alles. „Dienstags sehen wir ganz normal aus“, sagt ein Freund von Alex. Und am Wochenende könnten sie dann so richtig die Sau rauslassen: Jobs, Wohnungsnot und Zukunftsängste vergessen. Jedes Auswärtsspiel sei ein Abenteuer. „Morgens kommst du in eine Stadt, fängst das Saufen an und hast deine Gaudi.“ Da gäbe es tausend Sachen, die man erlebe.

Mutprobe mit Bewährung

Wenn sich zehn Münchener mit 18 Gladbachern prügeln, die Polizei eingreift und Alex verhaftet wird, ist das für ihn eine Mutprobe. Daß er vier Tage lang in Stadelheim saß, sei der Preis. Kein Kumpel darf den andern verraten. Das Gemeinschaftsgefühl geht ihnen über alles. Dafür nimmt Alex auch ein Jahr auf Bewährung in Kauf. Eigentlich muß er aufhören. Seine Augen glänzen, als er erzählt, daß er nächste Woche dennoch ein letztes Mal mitfährt: nach Düsseldorf. Die Sucht ist stärker. „Dann kannst du nur noch davon träumen oder du schaust dir die Fotos von früher an.“ Er lacht. „Es ist verrückt, im Prinzip denkst du noch genauso, aber die Bullen haben es dir halt verboten.“

Die Strategie der Polizei, die gewalttätigen Fans von den anderen Zuschauern zu isolieren, trug nach Ansicht des Münchener Sozialwissenschaftlers Kurt Weis zur Radikalisierung der Fans bei. Anfang der achtziger Jahre tauchten in den Stadien rechtsradikale Sprechchöre, Schmierereien und Embleme auf. Eine Untersuchung der Fakultät für Pädagogik der Universität Bielefeld zeigt, daß die Fußballfans einen Hang zu autoritär-nationalistischen Parolen und zur Gewalt haben. 65 Prozent der 300 befragten Jugendlichen bejahen die Parole „Kanaken raus“. Jeder zweite ist davon überzeugt, daß jeder Tag ein Kampf ist und der Stärkere sich durchsetzen muß. Die Fan-Szene ist, so die Bielefelder Forscher, eine Einbruchsstelle für rechtsextremistisches Gedankengut.

„Wir jugendlichen Fußballfans müssen uns erheben und gemeinsam Front machen gegen die Ausländerschwemme“, stand auf einem Flugblatt, das vor dem Europameisterschafts -Qualifikationsspiel der Bundesrepublik gegen die Türkei 1983 in Berlin verteilt wurde. Deutschland den Deutschen.

„Das ist doch der totale Quatsch“, sagt Alex nach dem Spiel im Vereinslokal des Münchener Fanklubs „Südkurve e.V.“. Er sei genau das Gegenteil von einem Nazi. Alex stellt sein Bierglas auf den Tisch. Klar gäbe es bei ihnen auch ein paar von der NPD, aber eben auch Grüne. „Wenn einer 'Türken oder Juden raus‘ brüllt, kriegt er von mir eins aufs Maul.“ Doch ganz so sicher ist sich der Hooligan nicht: Ein Spezi von ihm sei Nazi, und „der ist trotzdem ein geiler Typ“. Sein Freund Gregor nickt und wirft eine Mark in die Musikbox. Disko-Musik dröhnt durch das enge Vereinszimmer. „Wenn einer herkommt und meint, er müsse groß einen auf Politik machen, dann ist er hier fehl am Platz.“

Auch der Streetworker Wolfgang Autenrieth glaubt, daß sich die wenigsten der Fans von den rechtsradikalen Gruppen vereinnahmen lassen. „Die Jungs sagen: Das interessiert uns nicht, die sind uns zu extrem.“ Aber ein bißchen falle die rechte Propaganda schon auf fruchtbaren Boden. „Die sind halt mediengeil und lassen sich auch schon mal zu politischen Äußerungen hinreißen.“

In München will die NPD mit dem „vernünftigen Teil der Fan -Gemeinde zusammenarbeiten“. Allerdings ohne großen Erfolg: Im Olympiastadion verteilten die Rechtsaußen Fußball -Kalender mit ihren Telefonnummern. Bis jetzt hat noch keiner angerufen. Wenn sich die Szene auch nicht politisch unterwandern läßt, so ist sie doch käuflich. Bayern-Fans dienten den REPs als Saalordner. Hier dürfen sie ihre Fäuste gebrauchen, ohne von der Polizei ins Visier genommen zu werden. „Außerdem, für Geld machen die alles“, sagt Josef Maier vom Münchener Jugendamt.

Wer Fußballfans pauschal als Neonazis abstempelt, macht es sich zu einfach. Oft benutzen die Fans faschistisches Vokabular, ohne sich über den Inhalt ihrer Parolen bewußt zu sein. Bei einem Spiel hörte ein Münchener Sozialarbeiter einen Fan sagen: „Schiedsrichter, geh nach Auschwitz!“ Gefragt, ob er überhaupt wisse, was er da sage, antwortete der junge Mann: „Das ist mir wurscht.“ „Provokation geht vielen über alles“, glaubt der Pressechef des FC Bayern Markus Hörwick. Laut Hörwick gibt es in der Münchener Fußballszene überhaupt keine Hooligans oder Rechtsradikale. „Im übrigen - sind wir denn schon so weit in Deutschland, daß man auf Deutschland nicht stolz sein darf?“

Für Sozialwissenschaftler Weis ist das nationalistische Gehabe der Fans weniger ein politisches als ein soziales Phänomen. Heute finde man den Rechtsradikalismus nicht nur in den Stadien, sondern in allen Gesellschaftsschichten. „Wenn jetzt faschistische Gruppen versuchen, die Fans zu unterwandern, dann haben wir es mit einem echten gesellschaftspolitischen Problem zu tun.“ Es gebe keine Lösungen, meint der Sportsoziologe. „Die Fans sind nichts anderes als ein Zerrspiegel unserer Gesellschaft.“