Bankrott oder Illegalität

Untergrundverlage müssen um ihre Existenz fürchten, wenn sie legal arbeiten wollen / Was Repression nicht schaffte, gelingt nun der Regierung Mazowiecki / Freier Markt hilft vor allem Großverlagen / Zensur nicht abgeschafft  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

„Die Verlage sind überhaupt nicht auf die neuen Marktmechanismen vorbereitet - die Inflation hat zu einer völligen Verarmung der Verlage, Druckereien und Buchhandlungen geführt. Ich bin heute mit Sicherheit weitaus weniger optimistisch als noch vor drei Monaten“, meint Grzegorz Boguta, Chef des größten polnischen Untergrundverlages „Nowa“. Die Untergrundverleger, die alle politischen Repressionen seit dem zweiten Drittel der siebziger Jahre überstanden haben, drohen nun ausgerechnet an der Politik der Regierung Mazowiecki zu scheitern. Ausgerechnet, sagen sie - sitzen doch in dieser Regierung einige, die jahrelang nur in Samisdat-Verlagen drucken konnten, weil ihre Namen auf den schwarzen Listen der Zensur standen. Doch was der Kriegszustand nicht schaffte, das scheint nun dem Finanzminister zu gelingen - die Liquidierung des „zweiten Marktes“, jener Literatur, die am Anfang noch in Heimarbeit mit primitiven Druckverfahren, ja sogar teilweise handschriftlich hergestellt wurde.

In den achtziger Jahren entstanden dann die ersten großen Verlage, die - wie Bogutas Nowa - Monat für Monat Neuerscheinungen in hohen Auflagen herausbrachten. Andrzej Szczypiorskis schöne Frau Seidemann erschien zuerst im Untergrund - Monate früher als dies ein staatlicher Verlag geschafft hätte. In Windeseile brachten es Samisdat-Verleger fertig, die heimlichen Bestseller Osteuropas, von Orwell bis Solschenizyn, übersetzen zu lassen und zu vertreiben. Jetzt auf einmal droht die Untergrundkultur auszusterben.

Bisher gab es in Polen keinen freien Papiermarkt. Vom Klo bis zum Büttenpapier wurde die Mangelware Papier vom Kulturministerium zugeteilt. Ein Teil davon landete dann auf dem Schwarzmarkt, wo ihn die Samisdat-Verleger zu Höchstpreisen aufkauften. Den Rest mußten sie importieren. Dafür zahlten sie dann auch keine Steuern. Offiziell gab es die Verlage ja nicht, da sie aus Furcht vor Beschlagnahme und Gefängnis verdeckt arbeiten mußten. In den letzten Monaten haben die Nachstellungen nun gänzlich aufgehört wer will, kann bei jedem Straßenhändler die 'Gazeta Wyborcza‘, in vielen Buchläden und täglich vor den Toren der polnischen Hochschulen alles das erstehen, was Verkäufer und Kunden noch vor zwei Jahren unweigerlich vor den Kadi gebracht hätte. Politische Gründe für das Ausharren im Untergrund gibt es somit kaum noch.

Doch wer den Untergrund verläßt, dem macht nun das Steuerrecht den Garaus: Denn das Finanzministerium, um eine Aufbesserung seiner Einnahmen bemüht, ist zu dem unzutreffenden Schluß gekommen, den Verlagen gehe es bestens. Sie seien nicht einmal verschuldet. „Kunststück“, meint Nowa-Chef Boguta, die Verlage könnten es sich gar nicht leisten, teure Kredite aufzunehmen. Kreditiert werden müßte nämlich ein Zeitraum von mehreren Monaten von der Niederschrift bis zum Verkauf eines Buches. Und da fallen bei Polens zwei- bis dreistelliger Inflationsrate immense Zinsen an, die unmöglich an die Käufer weitergegeben werden können. Die kaufen ohnehin immer weniger Bücher. Kleinere Auflagen verteuern aber die einzelnen Exemplare noch weiter.

Dem Teufelskreis sind bereits einige Verlage zum Opfer gefallen, einstweilen noch legale Erzeugnisse des „ersten Marktes“, Zeitschriften der Fachliteratur und Randgruppenprogramme. Eine groteske Situation, angesichts derer sich einige Verlage wohl dafür entscheiden werden, weiterhin illegal zu produzieren. Boguta: „Eine schlichte Alternative: entweder legal werden und mit dem ersten Buch Bankrott machen oder im Untergrund bleiben und dort weitermachen.“

Als Ausgleich für das Ansetzen der Steuerschraube hat Kulturministerin Cywinska nicht einmal die Abschaffung der Zensur zu bieten. Denn: Entgegen ihrer bisherigen Zusage hat die Regierung Mazowiecki die Zensur noch nicht abgeschafft. Von der vollmundigen Versprechung, für Bücher und Monatszeitschriften die Zensur gänzlich abzuschaffen, ist einstweilen nur eines geblieben: Unsicherheit bei der Zensurbehörde. Dort quittieren immer mehr Beamte den Dienst. Wer das nicht tut, sitzt zumeist nur herum und schlägt die Arbeitszeit tot. Da das Zentralkomitee der PVAP nichts mehr zu sagen hat und die Regierung keine Zensuranweisungen erläßt, „greifen wir höchstens dreimal pro Woche zum Rotstift“, meint ein Zensor. Auch die Selbstzensur ist weitgehend verschwunden - eine Art Gegenbewegung feiert fröhliche Urstände: Plötzlich wollen alle als Kombattanten, Oppositionelle und Unabhängige gelten. Zeitungen, die jahrzehntelang unter der Kuratel der örtlichen Parteiorgane standen und ihre Titel stolz mit dem Zusatz schmückten „Proletarier aller Länder vereinigt Euch“, setzen nun dafür zum Beispiel ein „Unabhängige Zeitung für Danzig“ ein. Nie hat das Stühlerücken in den Chefetagen solche Ausmaße angenommen, wie in den letzten Monaten. Insgesamt 21 Chefredakteure und 25 ihrer Vertreter nahmen mehr oder weniger freiwillig den Hut. Zahlreiche Titel wurden eingestellt, darunter die Wochenzeitung von PRON („Patriotische Bewegung der nationalen Wiedergeburt“), die gegen Jahresende ihr überflüssiges Dasein still und leise beendet hat.

Die meisten Titel hat die mächtige, der PVAP gehörende „Arbeiterverlagsgenossenschaft“ (RSW) eingestellt. Die nämlich muß dringend Gewinne machen, um die PVAP zu finanzieren, der Mazowiecki die staatliche Unterstützung gestrichen hat. Als Beinahe-Monopolist bei Druckereien, Vertrieb und Tageszeitungen hat sie alle Aussichten, auch die Herausforderungen der Marktwirtschaft zu bestehen. Da sie ihre marktbeherrschende Stellung jedoch mit kräftiger Hilfe von Partei und Staat in den 50er und 60er Jahren und nicht immer ganz legal erworben hat, fordern die Kleinen im Verlagsgeschäft, vor dem Eintritt in den freien Markt reinen Tisch zu machen. Um RSW und den großen staatlichen Firmen etwas entgegenzusetzen, wollen sich die Kleinen nun vereinigen.

Auf die Kulturpolitik der Regierung sind sie jedenfalls schlecht zu sprechen, auch wenn das Kulturministerium einige vom Aussterben bedrohte Fachblätter übernommen hat. „Wir werden einstweilen weiterarbeiten wie bisher“, teilte der Untergrundverlag „PoMost“ unlängst mit. Die Entscheidung über eine Legalisierung des Verlags werde erst an jenem Tag gefällt, an dem die Zensur völlig abgeschafft sei. Die Pressenotiz erschien auf Wunsch von PoMost ohne Namensnennung - man kann nie wissen.