Die zweite Phase der Revolution beginnt

Nach den rumänischen Bürgerprotesten am Tag der Trauer um die Opfer der Revolution übernimmt in Temeswar und Iasi das Militär die Macht / Volksabstimmung über KP-Verbot angekündigt / Widersprüche und Risse im Rat der Front zur Rettung der Nation  ■  Aus Bukarest E. Rathfelder

Als der Befehlshaber des Militärbezirkes Temes, Gehorge Popescu, in der Nacht zum Freitag vor die Presse trat, war die Entscheidung schon gefallen: der örtliche Rat der Front der Rettung der Nation war zurückgetreten, das Militär hatte provisorisch die Macht übernommen. In den nächsten fünf bis sechs Tagen soll ein neuer Rat gebildet werden, kündigte der Kommandant an. Bis dahin jedoch werde die Armee die Leitung des Bezirks übernehmen. Und auch in der ostrumänischen Stadt Iasi hat das Militär den örtlichen Rat der Front der Rettung der Nation aufgelöst. Dort sollen ebenfalls Neuwahlen für diesen Rat vorbereitet werden. Beginnt nun das Militär die Macht im ganzen Land zu übernehmen?

„Nein, die Macht bleibt weiter geteilt“, schätzt der Redakteur Herbert Grünwald von der rumäniendeutschen Zeitschrift 'Neue Literatur‘ die Lage ein. Tatsache sei aber, daß die Armee sich als Ordnungsmacht profilieren kann. In allen Institutionen säßen nämlich noch die alten Leute an der Macht.

Doch die Jugendlichen vor allem sind nicht mehr gewillt, diesen Zustand hinzunehmen. In Temeswar, in Hermannstadt, in Bukarest und Iasi wie im ganzen Land gingen am Freitag Tausende auf die Straße, um der Revolution einen neuen Impuls zu geben und die Herrschaft der Kompromittierten anzugreifen. War es am Freitag morgen in der Hauptstadt während des nationalen Trauertages noch ruhig geblieben, hatten die Menschen eher einen besinnlichen Eindruck gemacht, Blumen vor den Orten niedergelgt, wo Todesopfer der Kämpfe zu beklagen waren, begann es am Nachmittag zu gären. In Gruppen zogen Jugendliche durch die Straßen der großen Städte und forderten lautstark die Absetzung aller Kommunisten aus der neuen Führung.

Und als dann in der Nacht zum Freitag in Bukarest Tausende den Rücktritt des gewählten Führers des Rates der Front der Nationalen Errettung Ion Iliescu und dessen Stellvertreter Dimitru Mazilu verlangten, reagierte die neue Führung schnell. In einem blitzartig erlassenen Dekret wurde die kommunistische Partei verboten und eine Volksabstimmung für den 28.Januar angekündigt, um die inzwischen abgeschaffte Todesstrafe wieder einzuführen. Denn die Demonstranten wollten nicht einsehen, daß die Mörder, die Terroristen, wie es heißt, die ehemaligen Mitglieder der Securitate, mit dem Leben davon kommen sollten.

Doch immer noch zeigt sich, daß der demokratische Prozeß unstrukturiert geblieben ist. Wie schwankend die Stimmung der Demonstranten war und wie leicht sie mit populistischen Versprechungen zu manipulieren sind, führte dann Iliescu selbst vor, der vor der Bekanntgabe des KP-Verbots mehrfach von der Menge niedergeschrien wurde. Als er das Verbot bekanntgab, erhielt er großen Beifall, und die Menschen skandierten, „Iliescu ist mit uns“. Doch schon einen Tag später widerrief Ion Iliescu, der bisher unbestrittene Führer des Rates der Front, die Entscheidung. Nun, so erklärte der ehemalige hohe Funktionär der Partei, solle das Volk über das Verbot der KP selbst entscheiden. Und er deckte damit auf, wie schwierig die Entscheidungen in der Führung zu treffen sind. Denn keineswegs handelt es sich bei der Front um ein homogenes politisches Forum.

Entstanden am 22.Dezember, als die Demonstranten die Fernsehanstalt besetzten und auf Zuruf ihre Führung nominierten, verbreitete sich die Front im ganzen Land. Überall wurden solche Komitees gebildet, die die Macht in Zusammenarbeit mit den örtlichen Behörden und der Armee übernehmen sollten. Jeder konnte Zutritt haben und sich der Bewegung anschließen. In allen Institutionen und in den Fabriken wurden Fronten gebildet. Kein Wunder also, daß in dieser offenen Struktur auch manche unterschlupfen konnten, die nur wenig Interesse an einer Radikalisierung der Revolution hatten. (Der Fall Nicolae M. Nicolae, siehe nebenstehenden Artikel, zeigt da nur die Spitze eines Eisbergs auf.) Und symptomatisch ist auch, daß Dimitru Mazilu, der Stellvertreter Iliescus im Rat der Front nun ins Gerede kommen kann. Mazilu, so 'Romania Libera‘ in ihrer Samstagsausgabe, sei in den 60er Jahren Chef der Polizeischule und später Geheimdienstmann im Außenministerium und bei der rumänsichen UNO-Vertretung gewesen. Die Attacken Mazilus gegen Ceausescu im letzten Jahr verlieren an Bedeutung.

„Jeder in der älteren Generation hat seine Kompromisse gemacht, es wird schwer werden, Schuld und Sühne festzustellen, analysiert Bedros Harasangian, ein armenisch -rumänischer Schriftsteller, der selbst während der Ceausescuzeit veröffentlichen durfte, die historische Situation. Auch in der Armee wird über die Verantwortlichkeiten diskutiert. (Siehe Erklärung) Eines ist jetzt schon sicher: Das sich nach der Revolution herausgebildete Machtgleichgewicht zwischen dem Rat der Front zur Rettung der Nation, der Regierung und der Armee wird in Zukunft vielen Prüfungen unterworfen. Selbst in der Front werden die Konflikte zunehmen. Vor allem zwischen denen, die eine KP-Vergangenheit haben, und den anderen, die durch die Revolution in die neuen Ämter gehoben wurden. Und schon beginnt die Diskussion in der Armee über jene, die am Anfang mitgeschossen haben.