Lessing modern und 150prozentig

■ Die Regisseurin Petra Dannenhöfer über ihre Inszenierung der „Emilia Galotti“, die am Sonntag Premiere hat

„Das habe ich mir, muß ich ganz ehrlich sagen, nicht gedacht, als ich mit dem Stück begonnen habe.“ Getroffen hatten wir uns nach der Probe. Kaum kommt die Rede auf das Stück, das sie am Bremer Schauspielhaus am kommenden Sonntag herausbringt, „Emilia Gallotti“, erübrigen sich die Fragen, sprudeln die münchnerisch getönten Sätze unaufhaltsam bei dem Versuch, zu fassen, was den Leuten in Lessings bürgerlichem Trauerspiel ungeheuerlich Spannendes passiert,

-„Abgründe!“. Petra Dannenhöfer hat Feuer gefangen. Beim trocknen ollen Lessing. Bei der Entdeckungsreise zum Autor, die eine Inszenierung ja auch ist. „Passiert Ihnen das nicht so mit jedem Autor?“ „Nein. Nein, das kann ich ganz klar sagen. Zum Beispiel habe ich einen Ayckbourn gemacht. Da passiert das nicht. Das hat einen Reiz, das handwerklich -artistisch gut zu machen, es geht dabei um Tempo,

um Abläufe. Aber man entdeckt nicht die Tiefen, die Verrücktheiten.“

Die Kieler Oberspielleiterin hat schon einmal „mit größter Wonne“ Lessings Minna von Barnhelm inszeniert, aber die Emilia hatte nicht sie gewählt,

sondern Andras Fricsay, der sie für diese Inszenierung nach Bremen geholt hat. Ensembletechnisch offenbar ein guter Griff. Die Dannenhöfer ist bis jetzt die erste der von auswärts geholten RegisseurInnen, - die erste Frau unter ihnen - die nicht schon bei

den Proben mit den SchauspielerInnen über kreuz gerät, vor der Premiere Krach, Probenverbot oder sonstwas kriegt, sondern bei der es einfach normal läuft. Die Spannungen im Haus und in dem Ensemble, das auf keinerlei Gemeinsamkeit miteinander aufbauen könne, hat sie auch gespürt, aber, was ihr Stück betrifft, offensichlich gebändigt. Oder ins Stück abgeleitet? On verra.

An Lessing, dem verdienstvollen Aufklärer, dem die „Verwandlung der Leidenschaften in tugendhafte Fertigkeiten“ ein solches Anliegen war, hängt immer so ein etwas penetrant lehrerhaftes Mäntelchen. Dannenhöfer hält das für ein Anhängsel der „bürgerlichen Moral des 19. Jahrhunderts, die nicht die seine war“. Genauso wenig interessiert sie Lessing Lessing am Feudalabsolutismus seiner Zeit, in der der Prinz und dessen „Kreatur“, Marinelli, der unschuldigen Bürgerstochter Emilia Galotti so machtwillkürlich nachstellen, daß die dabei drauf geht und ihren Vater bittet, sie zu erdolchen, damit sie der Gewalt nicht anheimfällt. Sie will nicht zeigen: „in diesem 18. Jahrhundert, waren die Menschen ganz schön blöd.“ Sie will zeigen, daß das Stück aktuell geblieben ist, ohne es zu aktualisieren. „Was wir eigentlich gemacht haben, ist eine Entschlackungskur gewesen von dem historischen Umfeld. Und was dabei übrig geblieben ist, ist 150-prozentig Lessing geblieben. Dann festzustellen, wie gut das mit unseren

heutigen Gedanken und Emotionen zu fühlen ist, das ist ein sehr spannender Vorgang.“

Und was ist das Spannende, das Moderne an der alten Emilia? „Die Ausnahmesituationen. Wie die Personen ins Schleudern geraten, weil sie in den Streßsituationen, in die sie geraten, ihre Emotionen nicht mehr so kontrollieren können, wie sie es normalerweise tun. Durch den Verlust der Kontrolle brechen Dinge nach oben, die sonst zugedeckt bleiben.“

Die Grenzsituationen liegen in der Konstruktion des Stücks, das von einem gewissen Moment an ein „geheimnisvolles inneres Tempo“ bekomme, und die Menschen, „als würde etwas von außen gesteuert, aufeinanderprallen läßt.“ Nicht Bürger -Gallottis gegen Absolutismus ist Dannenhöfers ordnendes Paradigma sondern „Planeten, die aufeinanderprallen“ oder „das Labyrinth“, „die Falle“, der tödlich anziehende, gefährliche Raum.

Die konstruierten Situationen bringen aber nur den Katastrophismus der eigenen Gefühle zutage. Zentrales Motiv der Emilia: die Verführbarkeit. Die Emilia verführe ihren Vater, sie zu töten, „nicht um der Gewalt zu trotzen, darum geht es gar nicht“, sondern weil sie weiß, „daß nur verführt werden kann, wer verführbar ist. Ein sehr moderner Aspekt. Und ich glaube, daß den eine spätere bürgerliche Moral des 19. Jahrhunderts nicht akzeptieren konnte. Das geht zu weit, das geht wirklich zu weit.“

„Man muß ihn denken,“ sagt Petra Dannenhöfer über die Arbeitsweise an Lessings Drama, „wenn man ihn nicht denkt der Lessing ist gnadenlos - dann hört man das. Das Spannende ist dann natürlich, zu sehen, daß er die Leute so brilliant denken läßt und dennnoch nützt ihnen das ganze gute Denken nichts, weil es sie in ganz eigenartige Abgründe reißt.“

Uta Stolle