Betonsilos pastellfarben aufgepeppt

■ Mit dem Bus in Ost-Berlin unterwegs durch den Stadtteil Marzahn / Hochhäuser, Hochhäuser und nochmals Hochhäuser... / 175.000 Menschen wohnen in dem Randbezirk, die meisten von ihnen in „Elfgeschossern“

„Guten Tag, ich bin Stadtbilderklärer beim Reisebüro der DDR“, begrüßt uns die Frau im Bus vor dem Hauptbahnhof. Auf dem Programm steht eine Stadtrundfahrt mit Abstecher nach Berlin-Marzahn. Mit mir wollen sich nur rund ein Dutzend Leute in das Ostberliner Pendant des Märkischen Viertels kutschieren lassen.

Die Wörter „Mauer“, „Grenze“ oder „Öffnung“ scheinen am Mikrofon tabu. Hat sich der Text seit November 1989 verändert? „Meine Kollegen hatten zwei Lieder drauf“, bekomme ich zur Antwort. „Wenn jemand von der Parteileitung dabei war, wurde das rote gesungen.“ Sie müsse aber aufpassen, daß sie mit den Namen der Politiker noch nachkomme, seit die so häufig wechseln.

Als wir am Leipziger Platz vorbeifahren, werden uns wieder einmal Sätze zur Notwendigkeit des Wohnungsbaus serviert. Die historische Bedeutung des Platzes offenbart sich nur im Gespräch mit dem Busfahrer: „Vielleicht ist Honni ja bei seiner Tochter untergetaucht, die wohnt hier. Gleich überm Führerbunker...“

Endlich geht es über die Greifswalder Straße raus aus der Innenstadt. „Seit das hier keine Protokollstrecke mehr ist, kommt man nicht mehr vorwärts“, grummelt der Fahrer. Das Angebot, im Thälmannpark zwischen Hochhäusern spazierenzugehen, kommt bei uns nicht so recht an. Überhaupt: Hochhäuser. Als wir wirklich da sind, sieht es auch nicht viel anders aus als in den Neubaugebieten näher am Zentrum der Hauptstadt. Das Grau der Häuser soll hier wie überall mit Vorliebe durch Hellgelb, Hellorange und andere Pastellfarben aufgepeppt werden.

„Wenn der Stadtbezirk Marzahn eigenständig wäre, wäre es die neuntgrößte Stadt unserer Republik“. 175.000 Menschen wohnen hier, vor allem in „Elfgeschossern“, erklärt die Frau am Mikrofon. Schon im 13.Jahrhundert wurde Marzahn in einer Urkunde erwähnt, gar aus dem 5.Jahrhundert stammt ein hier ausgebuddelter Schmelztiegel. Angesichts soviel Vergangenheit konnten sich die Stadtplaner die Rekonstruktion eines märkischen Dorfangers nicht verkneifen. Verloren stehen Kirche und Scheune zwischen den Betonklötzen. Schrebergärten und ältere Vorstadthäuschen, die der Abrißbirne entkamen, können den Eindruck von Öde nicht verscheuchen. Kritische Worte zur Massenmenschenhaltung fallen nicht. Nur der Busfahrer sinniert über den Menschen an sich: „Wir sind doch alle nicht vernünftig. Erst muß es die Wohnung sein, dann das Auto, dann ein Computer, schließlich der riesige Swimmingpool. Drei Runden schwimmen, dann bistes satt. Uns wird's nicht anders gehen als den Dinosauriern, wir sterben aus.“

Katja Niedzwezky