Kein Baustopp in Ost-Berlin

■ Wohnungspolitischer Jahresplan der Ostberliner Stadtverwaltung vom Parlament zurückgewiesen / Lieber Selbsthilfe als Plattenhochhäuser auf der grünen Wiese

„Kurtzer und sein Chefarchitekt Korn, diese Namen stehen seit 17 Jahren für gesichtslose Trabantenstädte vom Fließband“, sagte der Ostberliner Stadtverordnete Mugay, CDU. Hart kritisiert wurden gestern in der dortigen Stadtverordnetenversammlung die Vorstellungen des Bezirksbaudirektors Manfred Kurtzer zur künftigen Ostberliner Stadtplanung. Die Stadtverordneten genehmigten zwar den Weiterbau von Großprojekten, die schon begonnen wurde, alles andere jedoch wurde zur Überarbeitung zurückverwiesen. „Wir wollen nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen“ meinte eine Vertreterin der SED -PDS. Kurtzers Plan wurde nur als „Orientierungsrahmen“ eingestuft. „Das war noch nie da“, staunte ein Bürgervertreter.

Die Kritik an Kurtzer, dessen Funktion dem hiesigen Bausenator entspricht: Es fehlten Konzepte für die Energieversorgung, die Grünplanung, den Öffentlichen Nahverkehr und ein „Nachfolgekonzept für die Großplattenbauweise“, so ein Vertreter von der Grünen Liga. Die Bürgerbeteiligung sei nicht ausreichend, die Planung sei nicht behinderten- und familiengerecht. Dabei hatte Kurtzer sich Mühe gegeben, die Wende in der Stadtentwicklungspolitik zu markieren: Er will Selbsthilfe statt Abriß, dezentrale Wohnungsvermittlung durch die Bezirksämter oder durch Zeitungsanzeigen und, neu für die DDR, die Zulassung privater Architektenbüros. Neu für die Stadtverordneten waren auch seine Zahlen über die Ostberliner Wohnungssituation: 23.000 der 632.000 Ostberliner Wohnungen stünden leer, 7.500 davon seien wegen baulicher Mängel gesperrt. Es gibt 94.000 registrierte Wohnungssuchende. Für 2.400 Wohnungen sei der Abriß beantragt oder genehmigt, aber dies werde man angesichts der Diskussion reduzieren. Da die Berliner Bevölkerung weniger stark zunimmt als geplant, werde man das Neubauvolumen von bisher circa 15.000 Wohnungen im Jahr auf gut 10.000 zurückschrauben.

Hintergrund der behutsamen Rückplanung sind Bürgerproteste gegen das Hinklotzen von Plattenbauten auf der grünen Wiese. „Wir haben hier keine Eckkneipe, keinen Fleischer, keinen Friseur und einen einzigen Bäcker für 150.000 Bewohner“, sagte eine Bewohnerin der Hochhauswüste Marzahn vor den Stadtverordneten. In die Innenstadt fahre man über eine Stunde. Aber statt diese Defizite zu beseitigen, plane die Stadt wieder Neubau. In Marzahn werden derzeit dagegen Unterschriften gesammelt. Proteste und Unterschriftslisten gibt es auch von den Anwohnern in Alt-Glienicke, wo in Nähe des Flughafens Schönefeld zwischen Einfamilienhäusern derzeit eine Hochhaussiedlung mit bis zu elf Stockwerken erstellt wird. „Die Hochhäuser sind klimatisch ungünstig geplant und nicht richtig an die S-Bahn angeschlossen“ kritisiert die Grüne Liga.

Freilich muß Kurtzer Rücksicht auf die 50.000 Berliner Bauarbeiter und Handwerker nehmen, die Lohn und Brot behalten wollen und die schon mehrmals demonstrierten. Deshalb und „mit Rücksicht auf Wohnungssuchende“ mochte er den von Anwohnern und Stadtplanern verlangten Baustopp in den Neubauvierteln nicht verhängen. Auch am Leipziger Platz, wo die Gruppe „9.Dezember“ Einhalt fordert, damit der historische Platzgrundriß nicht zerstört werde, traf Kurtzer eine nicht mal halbherzige Entscheidung: Zwei „Objekte“ werden wie geplant gebaut, das dritte um einige Stockwerke abgespeckt.

Eva Schweitzer