HARMONISCHES FLECHTEN

■ Eine Ausstellung mit Textilien aus Zaire im Haus der Kulturen der Welt

Daß Kultur auf Arbeit beruht, davon zeugen die fürwahr traumhaften Tanzwickelröcke aus Raphiastoffen, die derzeit im Haus der Kulturen der Welt unter dem Titel „Traumzeichen der Bakuba“ zu bewundern sind. Die unter dem Namen Bakuba oder auch Kuba zusammengefaßten 18 Völker, die heute mit rund 200.000 Menschen im Herzen Zaires leben, kennen zwar kein Wort für „Kunst“, wohl aber eines für „Design“. Und mit über 200 Namen bezeichnen sie jene Muster, mit denen sie ihre in aufwendiger Prozedur aus den Blattfasern der Raphiapalme gewobenen Stoffe verzieren. Dem Besucher gibt die Vielfalt der geometrischen Mustervariationen jedoch Rätsel auf, die durch den Minimalismus der Bildlegenden und Ausstellungsdidaktik nicht gelöst werden.

Dabei könnten schon die wenigen, im Katalog leider nur knapp zusammengefaßten Mythen die Symbolik des Kuba-Musters dechiffrieren helfen: Bezeichnenderweise versinnbildlicht die Überkreuzung zweier Linien bis hin zu ihrer doppelten Verschlingung - ein immer wiederkehrendes Grundelement der Kuba-Bildersprache - den Übergang vom Natürlichen zum Kulturellen. Und genau jene Versinnbildlichung ritzte man den Frauen noch bis vor kurzem schon vor der Pubertät in den Bauch ein. „Die Kuba reduzieren die Umwelterscheinungen auf jeweils typische Einzelaspekte, zum Beispiel die Heuschrecke auf ihre Sprungbeine, die Schildkröte auf die Panzerzeichnung und abstrahieren diese Charakteristik zu einem geometrischen Stenogramm, mit dem sie alle Gegenstände, die sie schaffen, ja sogar ihre eigenen Körper, signieren.“ Diese sogenannten Skarifikationen sollten die Fruchtbarkeit der Frauen garantieren, galten als Beweis ihres Mutes und stellten einen sinnlichen Reiz dar. Den Männern wurde mit den Skarifikationen auf der Schulter ihre Zugehörigkeit zu ihrem Volk aufgeprägt. Vorsichtig angedeutet wird außerdem, daß die „geometrischen Handschriften sich auch zur Belehnung mit einem symbolischen Gehalt eignen, der mit der Vorstellung königlicher Macht verbunden ist“ - mehr ist nicht zu erfahren: Keine Idee davon, daß kaum eine Gesellschaft sich gründlicher und grausamer der Körper ihrer Initianten bemächtigt als jene, die ihrer Jugend gleich den fürs Leben unrevidierbaren Gesetzes-Text auf die Haut schreibt.

Arbeitsteilig ist nicht nur der Umgang der Geschlechter mit den unterschiedlichen Materialien und ihre Verarbeitung. Weberei und Flechterei sowie die Skulptur und das Gravieren harter Materialien sind Männeraufgabe. Das Modellieren und Gravieren weicher Materialien und auch die Stickerei sind Frauenaufgabe. Auch die Lesart der so erzeugten ähnlichen Dessins entspricht den komplementären Gesichtspunkten. Beide suchen zunächst die kleinste Figur, deren Wiederholung das Motiv bildet. Die Frau betrachtet diese Figur über den ihr zugrundeliegenden linearen Verlauf (Ursache), der Mann anhand der dabei beschriebenen bzw. eingeschriebenen Flächen (Wirkung).

Heute tragen die Bakuba überwiegend europäische Kleidung. Aus welcher Zeit die Ausstellungsstücke stammen, ist nicht zu erkennen. Und daß die Raphiastoffe mittlerweile von darauf spezialisierten Stickerinnen für den Export angefertigt werden, erfährt erst der hartnäckige Katalog -Leser. In welchem Maße die elaborierte Dekorkunst etwa Eingang in die moderne Alltagsästhetik gefunden hat, ist auch hier nicht nachzulesen, geschweige fotografisch belegt.

Mit ethnonostalgischem Sinn fürs Ursprüngliche wird vielmehr der „ruhige Rhythmus der geometrischen Motive als Ausdruck des ausgeglichenen, besinnlichen Charakters der Kuba“ gepriesen. Und weil sich auch die „eleganten gedämpften Farben ganz in dieses Bild fügen“, werden die beiläufig erwähnten „modernen Erzeugnisse von greller Leuchtkraft“ erst gar nicht präsentiert. Vor uns ein Katalog eigens vom Haus der Kulturen der Welt herausgegeben, in dem das jüngste Foto (neben den abgebildeten Exponaten) von 1952 datiert. Da sie nun einmal am Beginn der Ausstellungstätigkeit dieses Hauses stehen, sollen die „Traumzeichen“ Maßstäbe für das weitere Schaffen setzen, so sieht es jedenfalls der Verfasser des Vorworts, Günter Coenen. Und hier das museumspädagogische Rezept: „Zugang zu einem tiefen Verständnis für eine fremde Kultur wird hier über eine rein ästhetische Rezeption gesucht, die das Interesse am komplexen kulturellen Hintergrund wecken soll.“ Der ratlose Rezipient findet sich unversehens wieder am Ausgang, wo der besagte Katalog unter dem lakonischen Titel „Traumzeichen“ mit einem Text von Georges Meurant nebst Einführung von Angelika Tunis für 28 DM auf ihn wartet.

Eine Eingebung mag sich der desorientierte Betrachter schließlich von dem kleinen Büchlein über die im Foyer eingerichtete, immerhin ausführlicher erläuterte Ausstellung „Losa - Flechtwerke der Mbole“ versprechen. Doch auch hier belehrt uns der Autor Mabiala Mantuba-Ngoma mit einer Interpretation, die wir ihm nicht gerne glauben wollen. „Das ständige Streben nach Harmonie bei der Flechtarbeit spiegelt die Sehnsucht nach individueller und sozialer Ausgewogenheit wider. Es ist Ausdruck des Strebens nach Harmonie mit dem Ehepartner, mit der sozialen und übernatürlichen Umwelt und mit der Natur.“ Und zum Abschluß des Kapitels der fromme Wunsch, daß die Frauen trotz der Modernisierung der gesamten zairischen Gesellschaft dieses Kunsthandwerk nicht verlernen.

Auch hier kein Aufschluß über Kontext und Sinngehalt der Motive, keine Anschauung vom Herstellungsprozeß oder dem alltäglichen Gebrauch und den rituellen Funktionen der gezeigten Flechtmatten. Im Vertrauen auf zeitlose Schönheit ein hoffnungslos unzeitgemäßes Ausstellungskonzept - oder keins?

Simone Lenz

„Traumzeichen der Bakuba“ und „Losa - Flechtwerke der Mbole“ im Haus der Kulturen der Welt noch bis zum 4.Februar. Mi, Fr, Sa und So 10 bis 18 Uhr, Di und Do 14 bis 22 Uhr. Kataloge 28 bzw. 12 DM.