Acht Seiten im Dreifinger-Suchsystem

■ Am Samstag erschien die „erste unabhängige Zeitung Potsdams“ mit dem Namen 'WINKelement‘ / Zehn junge Zeitungsmacher im Gründungsfieber: „Der Markt ist reif für eine Kulturzeitschrift“ / Noch wird sie nur in Potsdam verkauft und kostet 80 Pfennig

WINKelement, auf diesen Namen sind die Gründer der „ersten unabhängigen Zeitung südlich von Rostock“ sehr stolz. Den Namen fanden sie früher als die technische Mindestausstattung (siehe Interview). Getippt werden die Artikel im „Dreifinger-Suchsystem“ auf einer uralten Schreibmaschine, gesetzt wird die Zeitung im Handsatz bei der SED-PDS-eigenen Druckerei der 'Märkischen Volksstimme‘. „Die waren echt kooperativ“, erzählt Matthias Trunk, zuständig für Werbung und Vertrieb, „wir haben das Papierkontingent der pleitegegangenen FDGB-Betriebszeitung bekommen.“ Acht Seiten hat die neue Zeitung, soll alle vierzehn Tage in einer Auflage von 10.000 Exemplaren erscheinen und kostet 80 Pfennig. Das neue Blatt ist nicht subventioniert, eben unabhängig. Im Editorial steht es: „Jetzt, wo alles und nichts geht, denken manche Leute, man müßte eine Zeitung machen. Zehn solcher Leute trafen vor vier Wochen zusammen und fingen einfach an. Die Schwierigkeiten kamen sofort und sind wohl unserem Blatt anzusehen. Finanziell sind wir vom Verkauf, also vom Leser abhängig.“

Die zehn Zeitungsmacher, „nur ein Mädel ist dabei“, sind jung, alle um die zwanzig und im Hauptberuf Steinmetz, Restaurateur, Koch oder Schüler. „Irgendwann soll die Zeitung aber zu einem echten Job werden, die Zeit reicht einfach nicht, um sie nebenbei zu machen.“ Gründlich müssen sie sein, die jungen Redakteure, denn für die Korrektur eines einzigen Tippfehlers müssen sie der Druckerei 1,68 Mark erstatten. Noch wird die Zeitung nur durch Handverkauf in Potsdam verbreitet, denn das teure Postvertriebssystem können sie sich nicht leisten. Aber sie sind optimistisch und denken schon an Expansion, „der Markt hier ist reif für eine anspruchsvolle Kulturzeitschrift“.

Das Layout gibt sich avantgardistisch, der „Kneipen-Tip“ beginnt mit einer „echt geilen Kneipe“. Jörg Richter mokiert sich über Kohl als „Der große Dicke in Dresden“. Ansonsten versammelt die erste Ausgabe eine bunte, freche Mischung aus Kultur, Politik, Interviews mit einem Potsdamer Hausbesetzer und dem Gitarristen einer Potsdamer Band; erste Frage: „Wie lange macht ihr schon Krach?“ Der Kochtip bietet indischen Käsekuchen, die Kontaktadressen reichen vom 'Arbeitskreis Solidarische Kirche‘ bis zum 'Wehrdiensttotalverweigerer‘. Oelschläger liefert einen Nachtrag zum Silvestertaumel, Jacob Freitag informiert unter dem Titel 'Keller-Filme‘ über die seit dem 11.Plenum des ZK verbotenen Filme. Jörg Richter beschreibt präzis, wie mies ein Ausländer von der Kassiererin in der Kaufhalle behandelt wurde, Yvonne Schultz macht Reklame für Waldorfschulen. Und R. würdigt kritisch die Kundgebung gegen Neonazis in Treptow: „Der Ablauf erinnert stark an alte Einheitsmanifestationen.“

Auffällige Schwäche der Zeitung: die derbe, manchmal sexistische Kraftmeierei. Zu Treptow heißt es: „Es reicht eben nicht nur, im Massenorgasmus phrasenhafte Parolen zu grölen.“ In der Silvestergeschichte bedauert Oelschläger: „Leider verfielen unsere Mädchen nach einiger Zeit etwas in Panik“, und im Kneipentip macht Matthias Jacob für 'Evchen‘ Reklame: „Eine Mischung zwischen Proll-Feierabend und Knacki -Bumsschuppen, aber Erika (Kellnerin, 1,50 groß, Dauerwelle und Hornbrille) bringt einen schnellen Blonden...“ Fehlt nur noch die Oberweite.

chp/ ak

WINKelement, Postfach 34, 1585 Potsdam, Telefon (023) 328200