Berberalltag?

■ „Mir kann keiner mehr helfen“, ARD, 23 Uhr

Manche Themen kreisen - wie auf einer stationären Umlaufbahn im Orbit der Pflichtübungen - so lange in den Redaktionsstuben, bis sie wieder einmal fällig sind. Die Auswahl folgt dem Gesetz des schlechten Gewissens. Wir müssen mal, wir sollten doch, wir haben schon ewig nicht mehr: so landen die Redakteure nach jeder glimpflich abgeschlossenen Gedankenschleife bei neuen Filmen über alte Hüte. Natürlich darf der Film, der Altbekanntes zum wiederholten Mal aufgreift, nie so sein wie der letzte Film davor, oder noch besser, ganz verschieden von allen anderen, die jemals gedreht wurden. Diesmal hat Hansjürgen Rosenbauer entschieden, daß die Halbwertszeit der Vergeßlichkeit beim Zuschauer in puncto Obdachlosigkeit längst überschritten sei, und deshalb verfügt, flugs einen Film drehen zu lassen.

Inzwischen ist die vertraulich-peinliche Phase des hautnahen Kontaktes vorbei: Der Filmemacher muß also nicht mehr drei Monate „Platte machen“, bevor er die Dreherlaubnis von gepolstert sitzenden Hierarchen im Sender bekommt. Und auch die verlogene Verbrüderung mit den so bezeichneten „Berbern“ - möglichst vor laufender Kamera - ist nicht mehr vonnöten, um einen „ehrlichen“ Film über Bettler machen zu können. Wie auch immer, die Autoren Elisabeth Montet und Uwe Pohlig hatten die Freiheit, die Randgruppen -Berichterstattung neu zu definieren, und sie wählten wenig überraschend - den konventionellen Weg. Anders sind nur die Fragen. Zynischer, naiver und damit vielleicht treffender als der gewohnte, verständnisvolle Umgang mit Bettlern. „Haben Sie gut geschlafen?“, fragt Elisabeth Montet, als sich drei Schlafkumpanen aus den Decken pellen, und: „Freuen Sie sich auf den Tag?“ Für den Zuschauer wirkt die Fragestellung zunächst grotesk, angesichts der jämmerlichen Lage der Befragten geradezu boshaft, aber die Antworten überraschen und legitimieren im Nachhinein die verletzende Annäherung. Die Bettler geben mehr von sich preis, geraten fast ins Philosophieren über ihre Situation. Eine offene Atomsphäre nach der gelungenen Provokation.

Der Verzicht auf jegliche Kommentierung und die Vorgabe der Autoren, die Bettler nie mit der Flasche am Hals und möglichst nüchtern zu Wort kommen zu lassen, führt allerdings dazu, daß ein rosig gefärbtes Bild entsteht. Der Bettler als würdiger Mann, der Bettler als guter Kumpel, der Bettler als Diogenes in seiner Tonne. Das ist eine Facette des Lebens auf der Straße. Daß wir sie sofort für uns als gültige Wahrheit anzunehmen bereit sind, beweist nur den nach wie vor vorurteilsbeladenen Umgang mit einem alten Thema.

Christof Boy