Kompositionen aus gläsernen Schokolinsen

■ Auch das Brettspiel Go hat seine „German Open“, doch der Rahmen ist weitaus bescheidener als bei Golf und Tennis

Klackklackklack. Japanisch, Englisch, Deutsch, Russisch. Und drunter: stetes Klackklackklack. Es klingt wie Erbsenzählen. Bloß international. Der 87jährige Yoshikata Seki zum Beispiel kommt aus Tokio: blaues Jackett, graue Hose, fragiler Charme. Er hat die fünf Runden der zweiten German Open im Go-Spiel mit 2:3 Partien hinter sich gebracht und keine Chance auf einen der Preise im Gesamtwert von 7.500 Mark. Jetzt steht er gelassen neben dem erst 60jährigen Yoshihiro Seki und schaut dem Sohnemann im Foyer eines Essener Studentenwohnheims beim Verlust der letzten DM -Partie zu, nickt, lächelt, greift sich filigran an die Augengläser.

Der Sohn: freundlich, konzentriert, das Gesicht in Falten gelegt, eine Hand rührt gelegentlich im Tupper -Plastikschälchen voll schwarzer Schokolinsen. Schokolinsen aus Glas. 181 schwarze hat Herr Seki im Tupper-Pöttchen, 180 weiße sein Gegner. Abwechselnd setzen sie jeweils eine Linse auf das Holzbrett mit den 19 waagerechten und ebensovielen senkrechten Linien, stecken mit den kühlen, glatten Spielsteinen Gebiete auf dem Spielfeld ab, weil jeder umzäunte Schnittpunkt der Spielfeldlinien mit einem Punkt bedacht wird, und umzingeln des Gegners Linsen, weil der damit seinerseits am Abzäunen gehindert wird und gefangene Linsen mit einem Punkt belohnt werden. Die Uhr vertickt derweil die Bedenkzeit - in Essen 75 Minuten pro Spieler und Partie.

Bei Profiturnieren dauert ein Spiel oft zwanzig Stunden,“, erzählt Horst Timm, Datenverwalter des Mitte der 50er Jahre gegründeten Landesverbandes. Hierzulande klickern nämlich bloß 1.500 offizielle und schätzungsweise 5.000 unorganisierte Aktivisten mit den Go-Steinen. Der Deutsche Sport Bund (DSB) hat eine Aufnahme der Linsen-Künstler bisher abgelehnt, lediglich in Hannover gelang die Integration in die Abteilung Rasensport. Timm: „Der DSB bedauert heute noch sein Versehen mit dem Schachsport.“

In Japan dagegen gilt das Strategenspiel bei zehn Millionen Goisten als Volkssport. Japanische Profis etwa spielen beim wichtigsten Go-Turnier - dem „Kisei„-Titelkampf (Weiser des Go) - um Preisgelder von insgesamt 3,7 Milionen Mark. Die erste Runde des elitären Linsen-Schiebens wird seit fünf Jahren ins Ausland vergeben. Eine großzügige Geste. „Die Japaner“, sagt Timm, „fördern Go mit missionarischen Eifer.“ Nach Seoul, Los Angeles, Honolulu und New York klickern die Go-Cracks seit Montag für die Japaner in Düsseldorf. „Kisei -Sen“ am Rhein.

Bei den Essener German Open der Amateure hingegen, organisiert von Ralf Hohenschurz und Armin Scholke vom Go -Club Essen, durften 336 Freizeit-Goisten aus 24 Nationen an die Bretter. Go-Freaks vom Leistungsgrad des 20. „Kyu“ (schlechtester Schüler) bis zum 6. „Dan“ (Meister), vorwiegend aus China, dem Ursprungsland des Go, aus Korea, Japan, dem Land der Go-Universitäten, aus Osteuropa, der BRD und dem deutschsprachigen Ausland. Fünf Runden mit jeweils 170 Partien werden zeitgleich ausgetragen. Klackklackklack 170mal Glas auf Holz, ein eleganter Ton.

Go war ursprünglich ein feudales Spiel mit edlen Materialien“, erklärt Mitorganisator Gerd Irmer. Wahre Go -Fundamentalisten spielen am liebsten mit Steinen aus geschliffenen Muscheln, die sie aus kugelförmigen Gefäßen aus gedrechseltem Holz grabbeln, um sie strategisch klug und optisch gefällig aufs Edelholzbrett zu klacken.

Oben, da wo die Meister im Kreise ehrfürchtig schweigender Bewunderer Linsen schieben, ist die Luft zum Schneiden: Schweiß und Konzentration. Männer in gemusterten Wollpullis, eindeutige Dominanz der Brillenträger. „Gut 80 Prozent der Go-Aktiven sind Männer, bei den Turnieren gut 90 Prozent“, sagt Timm bedauernd. Nach jeweils rund 300 Spielzügen pro Partie - beim Schach braucht man kaum mehr als 60 - hat man auf den 361 Schnittpunkten des Go-Bretts ein Mosaik aus schwarz-weißen Schokolinsen, jedes ein schlichtes Kunstwerk. „Go“, philosophiert Gerd Irmer, „hat nicht den destruktiven Charakter des Schach. Statt eine vorgegebene Ordnung systematisch zu zerstören, entsteht das Spiel aus dem leeren Brett - harmonischer, spontaner.“

Allein zur Eröffnung hat man 361 Möglichkeiten, eine Komplexität, an der selbst Go-Computer regelmäßig scheitern. „Computerfirmen“, so Timm, „benutzen Go heute um die Intelligenz ihrer Rechner zu testen. Für Go braucht man eher Intuition als Analytik.“

Ein menschliches Spiel? „Go“, sagt Roger Entner aus Pforzheim, Goist des 10. Kyu-Grades und wie so viele Spieler Student, „Go schult den Menschen als solchen. Man wird ruhiger davon, geduldiger. Die meisten Go-Sprichwörter sind buddhistische Weisheiten.“ Nicht umsonst heißt der Wiener Ralph Spiegel, nach dem Londoner Chinesen Zhang Shutai zweiter Sieger der diesjährigen German Open, „Shiwa“ (der Zerstörer). „Mit sanftem Nachdruck“, sagt der Wiener Sinologe und Besitzer einer tausend Exemplare umfassenden Sammlung von Schweinchen, „zerstöre ich den Gegner. Go ist ein Spiel, das sämtliche menschliche Fähigkeiten beansprucht, es ist ein Kunstwerk, eine Komposition, die dadurch entsteht, daß beide Gegner das Gegenteil wollen.“ Schach, sagen die Goisten, sei das Spiel der Krämer, Go das der Philosophen.

Petra Höfer