„Die Rumänen müssen lernen, wie Macht funktioniert“

Der Schriftsteller Stelian Tanase, der vorübergehend Mitglied der rumänischen Übergangsregierung war, zum Demokratisierungsprozeß im Land  ■ I N T E R V I E W

Der Schriftsteller Stelian Tanase gehörte zu den ersten Demonstranten, die in der Nacht zum 22.Dezember den Parteisitz Ceausescus am Bukarester Platz der Republik stürmten. Nachdem das Gebäude mit Hilfe der Armee eingenommen worden war, sprach Tanase als erster von jenem Balkon, der zuvor nur für den Conductator reserviert gewesen war. Der Schriftsteller proklamierte „den Sieg der Revolution“ und gehörte zum Gründungskreis des „Rates der Front der nationalen Rettung“. Jetzt hat er die Übergangsregierung verlassen, da sie nur von „Nutznießern, aber nicht von fähigen Politikern besetzt“ sei. Er gründete die erste freie Zeitschrift Rumäniens, das Wochenblatt '22‘.

taz: Was veranlaßte Sie zur Gründung der Wochenzeitschrift?

Stelian Tanase: Die jetzige Situation der Presse ist nicht durch das freie Wort gekennzeichnet, sondern durch eine konfuse Situation, die zu einem Machtvakuum führte. Deshalb kann man relativ frei schreiben. Aber alle Zeitungen stehen in einem relativen Abhängigkeitsverhältnis zu der provisorischen Regierung, was das Wort betrifft, in vollkommener Abhängigkeit, was die ökonomische Lage angeht. Es fehlen Blätter, die kritisch gegenüber jedwelchem Führungsapparat sein können. Wir wollen nur als moralische Kraft auftreten, und allein das Niveau der Sprache und das Äußern freier Gedanken sollen Kriterien für uns darstellen.

Wie wollen Sie den Herrschenden als Kontrollinstanz entgegentreten?

Wir werden den Geist des Aufstands wachhalten, die Ziele und Wünsche, die bei der blutigen Revolte am 22.Dezember artikuliert wurden, immer wieder ins Gedächtnis zurückholen. Denn jede Revolte, jede Revolution ereilt das Schicksal von Machtmißbrauch und Korruption, wenn die neue Macht nicht kontrolliert wird. Den neuen Machthabern fehlt jegliche gesellschaftliche Legitimation. Sie hieften sich einfach an die Macht, über Nacht. Als Ceausescu stürzte, füllten einfach ein paar kluge Köpfe das Machtvakuum. Jetzt sitzen sie dort, und das Volk kann nur hoffen, daß sie es demokratisch und ehrlich meinen. Dennoch kann das Volk nicht wählen, kann nicht mitbestimmen. Die Nutznießer setzten sich weich in ihre Sessel, und wir sollen warten, ob sie uns nun Demokratie oder Autokratismus schenken werden.

Es formieren sich aber neue Parteien. Werden diese nicht zu einem Gegenpol der „Front der Nationalen Rettung“?

Ich glaube zum einen, daß alle neuen Parteien ideologische Wortverdreher sind. Sie ersetzen die eine Ideologie einfach durch eine andere. Die Führer der neuen Parteien hängen antiquierten Politvorstellungen an, sie artikulieren keine modernen europäischen Gedanken. Wir als Zeitungsmacher müssen diese Leute akzeptieren, im Sinne eines neuen Pluralismus tolerieren. Aber frische Gedanken in diese Gesellschaft zu tragen, aufzurütteln und die Vergangenheit zu bewältigen, ist nur möglich durch das freie Wort kritischer Köpfe. Erst durch wirklich kritisches Denken kann in diesem Land eine Grundvoraussetzung geschaffen werden, die Demokratie ermöglichen wird. Wir lehnen uns an die Forderungen der europäischen 68er-Bewegung an.

Wir schreiben 1990; wer fühlt sich mit diesen Idealen von 1968 verbunden?

Die Jugend. Die Jugend, die durch ihre Revolte einem Putsch zuvorkam, die es allein war, ganz auf sich gestellt, die die Revolte vom Zaum riß. Sie allein ist im Augenblick die einzige Macht, die die Herrschenden zur Rechenschaft ziehen kann. Und man merkt, wie nervös man im Rat auf jede Forderung aus den Universitäten reagiert. Ob sie es wollen oder nicht, diesen Machtfaktor müssen sie immer in Betracht ziehen.

Wie lange werden die neuen „Nutznießer“, wie Sie sie nennen, an der Macht bleiben?

Ich bin kein Wahrsager. Ich hoffe nur, daß wir durch unsere journalistische Aktivität die Menschen zum Bewußtsein bringen können, wie Macht funktioniert und wie man Demokratie erlernen kann, wie man auf demokratisch um die Macht kämpfen kann.

Was kann der Westen dabei tun?

Der Westen fühlt sich in der Schuld, einst Ceausescu unterstützt zu haben, auch sein Nicht-Eingreifen bei der Niederschlagung des Prager Frühlings usw. Wir wollen nicht, daß die westlichen Staaten aus diesem Schuldkomplex heraus uns nur Nahrungsmittel und Medikamente liefern. Westliche Staaten müßten erkennen, daß auch Rumänien ein Teil Europas ist. Rumänien hatte bürgerliche und freiheitliche Verfassungen. Wir wollen zu Europa, und der Westen darf uns nicht die Türen verschließen.

Interview: Roland Hofwiler