„Die heilige Kuh ist geschlachtet“

■ Wohnen in der DDR wird teurer / Auch Preise für Konsumgüter angehoben / Reform des Subventiossystems beginnt

Berlin (ap) - In der DDR sind am Montag erste drastische Preiserhöhungen in Kraft getreten. Bisher stark subventionierte Kinderkleidung kostet jetzt zum Teil das Doppelte und Dreifache, dafür gibt es einen Zuschlag zum Kindergeld. Auch Blumen wurden teurer. Finanzministerin Uta Nickel widersprach Gerüchten, daß in den nächsten Tagen auch die Preise für Waren des täglichen Bedarfs erhöht werden sollen. In der Gewerkschaftszeitung 'Tribüne‘ ließ sie aber erkennen, daß die Regierung auch an die Mieten herangehen will.

„Die heilige Kuh ist geschlachtet“, schrieb das Ostberliner SED-Blatt 'Berliner Zeitung‘ in einem Kommentar. Die Preiserhöhungen läuteten die Reform der Subventionspolitik ein. Die Zeitung erinnerte daran, daß den gestützten Preisen, Tarifen und Mieten auf der anderen Seite überteuerte Waren gegenüberstünden, um einen Teil des Geldes wieder hereinzuholen. Die Subventionen hätten in den letzten Jahren „immer schwerer als Blei an den Füßen der Wirtschaft“ gehangen, rechtfertigte das Blatt den Abbau. Meinungsforschern zufolge seien 80 Prozent der Bürger für eine veränderte Subventionspolitik. „Die Praxis wird zeigen, ob die gesellschaftliche Akzeptanz wirklich so hoch ist.“

Am Samstag hatte die kurzfristige Ankündigung der Teuerungen erst einmal Hamsterkäufe ausgelöst. Nickel bekräftigte in der 'Tribüne‘ die Notwendigkeit, zu tatsächlichen Preisen zu kommen und dafür einen sozialen Ausgleich zu schaffen. Die Subventionen allein für den Grundbedarf machen nach ihren Worten rund 51 Milliarden Mark aus. Nickel äußerte Verständnis für die Proteste der Gewerkschaften und räumte ein, daß Löhne, Renten und Beihilfen neu bewertet werden müßten. Sie warnte jedoch davor, im Interesse der Währungsstabilität eine Lohn-Preis -Spirale in Gang zu setzen.

Nickel kündigte an, in Absprache mit dem Bauministerium eine öffentliche Diskussion über das Problem der Mieten zu organisieren. Dabei gehe es um Zweitwohnungen, unterbelegten Wohnraum, Eigentumswohnungen und Mieten allgemein. Für Waren des täglichen Bedarfs seien keine Aktivitäten im Gange, erklärte die Ministerin. Die Verteuerung von Kinderkleidung begründete sie auch mit dem Ziel, den „Abkauf“ durch Ausländer zu verhindern.

Der Präsident des Bundesverbands der deutschen Industrie (BDI), Tyll Necker, wandte sich gegen jegliche Stützung von Warenpreisen. In einem Interview der Nachrichtenagentur 'adn‘ bezeichnete er es als Ausverkauf, wenn billige, weil stark subventionierte Waren aus dem Lande getragen würden. „Es gibt kein 'armes‘ Brot, aber arme Leute“, sagte Necker.