Symphonie der Farbenklänge

■ Hamburger Staatsoper-Premiere: Rosalies Bühnenbild für Mozarts Idomeneo

Sie ließ sich lange bitten. Dirigent Gerd Albrecht hatte sich schon artig verbeugt, Sängerinnen und Sänger mit glücklichen Gesichtern den Applaus entgegen genommen. Dann endlich trat auch sie vor den Vorhang: Eine kleine, eher schüchterne Person. Sie nennt sich schlicht „Rosalie“, lebt in Stuttgart, ihre Malerei und Plastik war auf der documenta zu sehen, Hans Werner Henze hat sie als Bühnen - und Kostümbildnerin in sein Kreativ-Zentrum Montepulciano eingeladen. Nun ist sie der Star dieses Abends. Ein paar verstreute Buhs mischen sich unter das Klatschen, aber das muß so sein, wer dem Hamburger Premierenpublikum rundum gefällt, hat irgendein faules Zugeständnis gemacht. Rosalie nicht, sie hat Mozarts Idomeneo kompromißlos in ein Stück visueller Kunst verwandelt.

Zum drittenmal hat die Hamburger Oper Persönlichkeiten der bildenden Kunst verpflichtet. Nun also Rosalie. Auch sie hat weit mehr als ein Bühnenbild abgeliefert. Nur hat sie gar nicht erst versucht, ein Drama zu finden, wo keines ist. Ein Vater soll seinen Sohn opfern, in den sich eine Prinzessin aus dem Clan des Kriegsgegners verliebt. Eine Eifersuchts -Nebenhandlung hält die karge Antiken-Fabel eine Weile in Gang, bis die Götter ein Einsehen haben und das Happy-End herbeiführen. Idomeneo gehört deshalb nicht zu den vielgespielten Opern Mozarts, obwohl sie ihm selbst sehr am Herzen lag. Große lyrische, knappe hochdramatische Arien, sorgfältig auskomponierte Rezitative, Ensembleszenen und ein Orchestersatz zuweilen symphonischen Gewichts weisen auf spätere Werke voraus. Nur scheint die Meisterschaft des 24jährigen an lauter Einzelstücke verschwendet, die sich noch nicht zum Musiktheater zusammenfügen.

Der Ruf der Langeweile geht dem Werk daher voraus; Rosalie

hat es nicht gekümmert. Ihre Phantasie erlaubte ihr einen anderen Blick auf diese Musik. Womöglich hatten Regisseure wie Publikum sich fortwährend geirrt, sich abgearbeitet am Konflikt des Vaters, an der Romanze des Sohnes und am Ratschluß der Götter, die Mozart mit soviel Energie in Musik gesetzt zu haben schien. Nichts davon trifft zu. Die Partitur war ein großangelegtes formales Experiment. Zahlreiche Briefe Mozarts an seinen Vater liefern dafür biographische Beweise. Stets geht es um Wirkungen von Kontrasten, von Harmonien und Instrumentierungen, um Anspielungen an Errungenschaften anderer Musiker, um Eigenheiten der Sänger und Sängerinnen. In diese Werkstatt drang Rosalie mit ihren eigenen Beiträgen ein. Wie Mozart komponiert sie optische Wirkungen, testet Farbharmonien aus, Linienmuster auf Prospekten und Kostümen, kombiniert archaische Masken mit Stilmitteln der Pop-Art und zitiert augenzwinkernd - mit Pastelltönen die Porzellanfigürchen des Rokokko - etwa, wenn das Liebespaar sich zum schüchternen Kuß aneinander schmiegen darf.

Priester, Chor, Soldaten, Nebenbuhlerin: alles ist Figur und Farbe, in schreienden Kontrasten meist, die sich auflösen in verblüffende Harmonien. Mag sein, daß Mozarts Musik den Zeitgenossen so bestürzend schön in die Ohren drang. Und so sehr der italienischen Tradition verpflichtet, wie in der Musikgeschichte gemeinhin dargestellt, klingt dieser Idomeneo in diesen Bildern nun auch nicht mehr. Die Oper beginnt sich völlig neuartig in Klangfarben aufzulösen, bis hin zu jenem Ballett, das, einer Laune des Auftraggebers geschuldet, seltsamerweise nach dem Schlußchor in der Partitur steht. Rosalie läßt dazu schockgrüne Statuenumrisse vor rot-flekkigem Hintergrund schweben.

Darunter stehen die Liebenden und staunen: Was sollten sie sonst tun? Einen hohen Preis für diese Verwandlung der Dramaturgie in Bilder einer Ausstellung zahlt das Ensemble. Zum festen Stamm gehört inzwischen der Tenor Josef Protschka (hier als Idomeneo) mit seinen notorischen Premieren -Unsicherheiten, im übrigen wurden fast ausschließlich junge Kräfte verpflichtet. Merken sollte man sich die wunderbare Glockenstimme der Sopranistin Joanna Koszlowska (Ilia), die zu Recht stürmisch gefeiert wurde. Aber auch sie war nur ein Klang in dieser Symphonie - ein makelloser allerdings. Ein Abend der Sänger und Sängerinnen war es nicht, wohl aber ein Abend Mozarts. Wobei auffiel, wie die Philharmoniker unter Gerd Albrecht zu spielen gelernt haben.

Niklaus Hablützel