: ICH KANN IM KNAST KEINE LIEBESBEZIEHUNG EINGEHEN
■ Sexualität und Beziehungen unter dem Druck des Vollzugsalltags
Ich bekomme die taz schon etliche Zeit. Allerdings muß ich dazu sagen, daß ich sie meist oberflächlich gelesen habe. Knast, Wiese etc., Politik, Frauenfragen, Wirtschaft haben mich einmal überhaupt nicht interessiert.
Heute ist die taz für mich unentbehrlich geworden, weil es in meinem Knastalltag, der sich einmal wieder verlängern wird, ein Lichtblick ist, ein Ereignis, worauf ich mich sechsmal die Woche freuen kann. Wenn man die taz genau liest, so braucht man schon eine ganze Weile. Ich möchte damit zum Ausdruck bringen: Es hat sich gelohnt, mir die taz über Jahre hinweg als Makulatur zu schicken. Mein politisches Denken in vielen Bereichen ist geweckt, und ich fresse die Infos förmlich.
Ich denke, mein Abo, das ja immerhin ein Freiabo ist, hat sich gelohnt, und es kam letztendlich nicht durch die taz zustande, sondern durch ein Buch beziehungsweise mehrere, die ich in letzter Zeit gelesen habe. Hier wären zu nennen: Info im Strafvollzug, in Rechtsprechung und Praxis. Gemeinsam sind wir stark, Fischer Alternativ, Ernst Klee, Pennbrüder und Stadtstreicher, Der Verrat am Körper, Die Schwulen, Liebe und Männergewalt. Im Moment lese ich Klaus Jünschke Spätlese.
Ich denke, daß gerade das erste, Info zum Strafvollzug, bei mir eine Wandlung hervorgerufen hat, eine Wandlung, die es mir ermöglicht, mich mit diesem System auseinanderzusetzen, nicht nur hier drinnen, auch draußen.
Natürlich ist es nicht leicht umzusetzen, schon aus dem Grunde, daß hier eine Subkultur ist: die Jagd nach Rauschgift, Sore, Kohle und die Legendenbildungen (Beute beim Raub, 60.000, eine Million). Man kennt ja diese Geschichten, sie sind an der Tagesordnung.
Ich versuche mein Wissen, das juristisch natürlich gleich Null ist, in der hiesigen Aids-Gruppe einzusetzen und ich schreibe für die Ausländer die Anträge und Beschwerden.
Im Vollzug kenne ich mich allein schon deswegen aus, weil ich die Justiz seit mehr als 16 Jahren beschäftige. Vorher waren es halt andere Institutionen wie Heime und Psychiatrien. Für meine Befreiung habe ich 24 Jahre gebraucht.
Da ich ein Tabu im Knast gebrochen habe und über meine Sexualität gesprochen habe (daß ich mit 14 Jahren auf den Strich gegangen bin), werde ich von vielen Gefangenen gemieden. Ich kenne Leute, die halten ihren Hintern für 0,5 Gramm Haschisch hin. Natürlich habe ich mich von solchen Aktionen distanziert, weil ich weiß, es selbst erlebt habe, wie es ist, wenn man nur mit einem ins Bett geht, um Sore zu kassieren oder um sich den Kopf zuzudröhnen.
Wenn man mit einem ins Bett steigt, um seiner selbst willen, um mit ihm die Sexualität zu erleben, zu teilen, zu genießen, so geht das voll in Ordnung. Dadurch, daß ich dies gesagt habe, dieses Tabu gebrochen habe, öffentlich dazu stehe, kommt natürlich keiner mehr mit mir zurecht. Sie haben Berührungsängste, weil die anderen vielleicht sagen, der ist schwul, der läßt sich im A... ficken etc. Nirgends sind Klischees so verbreitet wie im Knast.
Natürlich hat das auch seine guten Seiten. Ich habe eine „riesige“ Zelle für mich alleine, eine schöne Aussicht, ein großes Fenster. Alles wunderbar. Ich kann machen, was ich will, weil ich aufgehört habe zu arbeiten, weil es mir einfach nicht mehr wichtig ist, mehr in meinem Korb zu haben als die anderen. Ich habe mich total eingeschränkt. Habe alles rausgeschmissen, was ich nicht mehr brauche. Dies waren allerdings auch Sachen, die Geld gekostet haben. Ich will damit sagen, ich habe sie nicht verkauft, ich habe sie verschenkt. Natürlich halten die Gefangenen und auch die Beamten mich für irre. Das hatte seine Bedeutung dahingehend, daß ich jetzt wieder anfange, meine Zelle neu einzurichten - mit anderen Sachen, die draußen in jeder Wohnung zu haben sind wie Bürobedarf, Ordner, halt Sachen, die ich hier dringend brauche und auch draußen weiter gebrauchen kann.
Ich bin einer der Gefangenen, die sich weigern, beim Einkauf Essen zu kaufen. Ich boykottiere den Penner einfach. Ich kaufe meinen Tabak und fertig aus. Der hat Preise drauf, da staunste nur noch. Nur ein Beispiel: Äpfel, Handelsklasse zwei: 3,50 DM. Gestern habe ich erfahren, daß er sogar ein Flugzeug haben soll.
Gerade hier in Butzbach ist es unheimlich schwer, einen gesetzmäßigen Strafvollzug durchzuziehen. Alleine schon die örtlichen Gegebenheiten: ländlich. Kassetten, Fernseher, Tauchsieder, alles was man kaufen kann, kommt unmittelbar aus der Umgebung. (...) Fakt ist, daß hier 450 Gefangene sitzen, die natürlich diesen ganzen Konsumscheiß mitmachen, die mehr haben wollen als der andere, weil er vielleicht damit symbolisiert, ich bin mehr wert als du, ich habe einen volleren Einkaufskorb, mein Trainingsanzug ist von Boss, deiner vom Knast, obwohl dieser auch nicht der schlechteste ist.
Das ganze System hier ist raffiniert aufgebaut. Machen kann ich nur wenig, da ich allein stehe, isoliert bin und als einziger wohl noch keinen Fernseher beantragt habe. Was soll ich mit Fernsehen, frage ich mich? Spielfilme anschauen von 1957 oder ähnliches? Ich habe diese Konsumscheiße lange genug mitgemacht, ich werde sie nicht mitmachen, selbst dann, wenn ich aufhören müßte zu rauchen.
Sicher, ich rauche gerne eine Zigarette oder einen Joint. Aber ich bin doch nicht wahnsinnig und bezahle für 0,8 Gramm 50 DM.
Was hier abgeht, ist der Wahnsinn. Am Anfang habe ich manchmal gedacht, ich werde verrückt. Ich wollte den Leuten zeigen, wenn man sich untereinander ein wenig solidarisiert, einander ein wenig hilft, den anderen nicht ausbeutet, daß man hier eine Menge erreichen kann, auch an Verbesserungen. Die Leute hier sind meist fixiert auf Urlaub, 2/3 oder sonstige Sachen. Sie leben hier im Knast wie Zombies. In Gedanken sind sie zu Hause bei ihrer Familie, beim Besuch, in Urlaub. Das Instrumentarium der direkten Bestrafung und der indirekten ist unendlich. Wenn man es nicht schafft, sich von alldem zu lösen, sich frei zu machen, so kann man auch geistig nicht frei werden, sich nicht mit der Situation auseinandersetzen, die einen immer wieder hierher geführt hat. Kriminalität wird hier produziert am laufenden Meter, weil die Menschen, die hier drinnen sind, sprich die Gefangenen, kein soziales Denken haben, weil sie es nicht haben können, sie auch nicht resozialisiert werden. Was verstehe ich unter Resozialisierung? Resozialisierung heißt für mich, sein Leben eigenverantwortlich in die Hand zu nehmen, seine Interessen alleine durchzusetzen beziehungsweise zu kämpfen. Wenn man nicht mehr weiterkommt, kann man immer noch Hilfe in Anspruch nehmen. FreundInnen können nicht meine SozialarbeiterInnen sein, meine Amme oder TherapeutIn. Freundschaft stufe ich noch höher ein als eine Ehe. Letztere habe ich hinter mir und es war ein einziger Streß. Freundschaft ist etwas Wunderbares, wenn sie gleichberechtigt ist. Natürlich kann sie nicht nur aus Geben bestehen oder andersherum, wenn sie aus Loslassen und Festhalten besteht, wenn die Freunde da sind, wenn man sie braucht und nicht erst, wenn alles klar ist. Man hat mich einmal gefragt, warum ich kein Tipp-Ex nehme. Was soll ich damit? Ich bin ein Mensch und mache Fehler. Ich habe was zu sagen und ich kann mich verständlich machen. Im Knast bin ich eingeschränkt und muß sparen. Auch das ist für mich Freundschaft, daß ich meine FreundInnen nicht über Gebühr mit irgendwelchen Forderungen überziehe. Schick mir dies, schick mir das. Das höre ich am laufenden Band.
Natürlich werden diese Sachen überwiegend genutzt, um ein Image aufzubauen, die Not, die seelische zu lindern, die Unfreiheit. Man macht sich selbst unfrei, weil man halt diesen Dingen, wie mehr Einkauf als der andere, Urlaub, Besuch und all den anderen Kleinigkeiten hinterherrennt. Was soll ich mit Besuch, wenn ich mit dem Besucher nicht auf einer Wellenlänge bin, wenn wir uns anöden, gegenseitige Forderungen stellen, die vielleicht zum Streit führen. Freiheit heißt für mich, die Dinge zu tun, die man einfach tun will, sich nicht reglementieren lassen durch nichts und niemand. Sich nicht einzureihen in die Subkultur, die hier ohne Zweifel besteht, die Scheuklappen abzulegen und sich alles anzuschauen, wie es Klaus schon in seinem Buch bei der Ausführung beschrieben hat. Letztendlich war es wohl so, daß er damit sagen wollte: Jungens, macht euch frei und ihr werdet mehr erreichen als ihr habt.
Diese ganzen Beziehungskisten, die hier abgehen, sind zum Kotzen. Alles trieft vor Herz und Schmerz. Bevor man überhaupt Liebe geben kann, muß man sich selber lieben können, sich akzeptieren'wie man halt ist. Jeder hat Stärken und Schwächen. Ich kann im Knast keine Liebesbeziehungen eingehen, weil es ein Druckmittel wäre, dem ich mich unterwerfen müßte. Besuchssperre, Schikanen oder wie auch immer. Die Möglichkeiten sind sehr vielfältig.
Ich habe eine Liebesbeziehung über vier Jahre im Knast gehabt; ich bin bald irre geworden. Vor allem ist es ja wohl auch so, daß man wieder Scheuklappen hat, weil man nur mit der Frau oder dem Mann beschäftigt ist. Auch zu Beziehungen zu Frauen habe ich eine andere Einstellung bekommen. Eigenverantwortung und Gleichberechtigung muß es geben, die Frau kann nicht meine Putzfrau sein, meine Köchin, meine Fickmaschine. Sexualität im Knast besteht bei den meisten daraus, sich auf die schnelle einen runterzuholen, auf irgendeinem Porno, Dauer zehn bis 20 Minuten. Durch diese Art, mit seiner Sexualität umzugehen, wird man natürlich frauenfeindlich, sexistisch, vergewaltigt seinen Körper permanent. Ich habe es doch 20 Jahre selber gemacht, muß also wissen, wovon ich spreche. Ein Umdenken, eine Entwicklung hat bei mir eingesetzt. Da ich den ganzen Tag auf Zelle bin, habe ich natürlich viel Zeit. Deswegen kann auch meine Entwicklung, mein Umdenken schneller vonstatten gehen.
W.H., Butzbach
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