KNASTBÜCHER

■ Gefangene zum Knastalltag * "Risse im Fegefeuer" / "Vogelperspektiven"

Den nicht eingesperrten LeserInnen dieser Seite, die die Briefe aus dem Knast mit Interesse verfolgen, möchte ich zwei Bücher empfehlen, die Geschichten und Gedichte aus dem Knast enthalten. Ihr Inhalt hätte in ähnlicher Form auch auf dieser Seite stehen können.

Risse im Fegefeuer heißt eine Geschichten- und Gedichtsammlung von 17 Gefangenen beziehungsweise ehemaligen Gefangenen, die mit dem Ingeborg-Drewitz-Preis ausgezeichnet wurde. Der Alltag in der Zelle, Umschluß, Freistunde, Besuch, Bunker, Transport. Die absurden Kreisläufe zwischen drinnen und draußen, die schreckliche Normalität eines Zustandes, der niemals als „normal“ akzeptiert werden darf, schließlich die Selbsttötung. Die Knastrealität wird in bewegender Sprache und in einer pathosfreien Eindringlichkeit beschrieben: Die Erzähler sind davon überzeugt, daß der Inhalt ihrer Geschichten für sich spricht. Das tun sie meist auch: die himmelschreienden Ungerechtigkeiten, der ohrenbetäubende Bürokratismus, der menschenverachtende Umgangston - die Geschichten erheben Anklage.

Aber ich frage, an wen mit solchen Anklagen appelliert werden soll. Die meisten Gefangenen werden selbst die Erfahrung gemacht haben, daß sie mit ihren Geschichten bei Außenstehenden nicht viel mehr als kurzfristige Betroffenheit erzielen können. In einer Gesellschaft, die so durch und durch von Kampf gekennzeichnet ist, gibt es keine letzte menschliche Instanz, der die Sauereien nur zu Gehör gebracht werden müssen, schon gar nicht die „Öffentlichkeit“. Wer nicht seinen eigenen Spielraum zum Widerstand nutzt, und sei er auch noch so klein, der wird auch keine dauerhafte Unterstützung von anderswo kriegen, sei das mitfühlende Verständnis auch noch so groß.

In überzeugender Nüchternheit ist da der Beitrag von Hubi Becker Unterwegs in der grünen Minna, der schlicht erzählt, wie's so zugeht auf dem Transport, wen er dabei kennenlernt, wie die so drauf sind. Reale Menschen in einer realen Zwangslage. Leseprobe:

Während der Fahrt kommt plötzlich Unruhe im Bus auf. Einer der Polizisten kommt fluchend nach hinten und beschimpft einen der Fahrgäste. Wie sich bald herausstellt, hat der in einen Plastikbeutel gepinkelt, gewartet, bis wir eine abschüssige Stelle hinabfahren, sodann die Pisse unter der Kabinentür hindurch in den Mittelgang gegossen, wo diese den Längsrillen des Bodenbelags folgend rasch nach vorne floß und sich in den Fußraum der Begleitmannschaft ergoß... Aber nachdem vier Männer in dem Abteil sitzen, und keiner irgendwelche Angaben zu dem Vorfall macht, gelingt es dem Ermittler vorerst nicht herauszufinden, wer der Pinkler ist. Nachdem sich der unhygienische Anschlag im Bus herumgesprochen hat, gibt es Gelächter.

In Amberg legen wir eine kurze Rast ein. Dann weiter nach Weiden. Wieder Pause. Der pfiffige Bulle beobachtet, wer nicht zum Pinkeln geht. Alle gehn.

Ähnlich nüchtern und frei von jeder Spekulation auf Mitleid liest sich das Buch Vogelperspektiven von Thomas Braven (Pseudonym). Durch die Art, wie die Erzählung seiner erstaunlichen Knastkarriere und seiner Kindheit und Jugend ineinandergeschoben sind, ist es zudem spannend, ja regelrecht mitreißend. In seinem kalten und klaren Blick auf die herrschenden Verhältnisse steckt das Bewußtsein, daß sein Haß nicht an jeder einzelnen Schweinerei neu begründet werden muß. Der steckt viel tiefer. Er reicht für jahrelangen kompromißlosen Widerstand im Knast und für einige jeweils langgeplante und spektakuläre Fluchten.

Das Buch ist auch die Geschichte der „Politisierung“ eines Gefangenen. Thomas Braven erkennt schließlich, daß ihm der Kampf um materielle Absicherung, nichts bringt. „Früher war einfach klar, daß ich ein Leben wie meine Eltern nie leben werde. Ich wollte solange klauen und rauben, bis ich die Kohle für ein unabhängiges Leben zusammenhabe... Früher dachte ich manchmal der Knast ist der Preis dafür, und ich bin selbst schuld. Aber selbst schuld bin ich nur insofern, als ich mich erwischen ließ. Die Zustände, daß ein paar Millionen gut leben auf Kosten von Milliarden, sind der Grund, der Leute erst zu Dieben und Räubern werden läßt.“

Thomas Braven beteiligte sich denn auch im letzten Hungerstreik der Gefangenen aus RAF und Widerstand im vergangenen Frühling. In seinen Kommentaren zum Hungerstreik und dessen Abbruch am Ende des Buches kritisiert er auch die Unterscheidung „politische“ und „soziale“ Gefangene.

Wenn von Leuten aus der RAF in Erklärungen verlautet, es bestünden enge Kontakte und es hätten sich wirkliche Freundschaften zwischen den „sozialen“ und den „politischen“ Gefangenen gebildet, so kann ich das so nicht akzeptieren, weil diese Klassifizierung sozialer und politischer deutlich zeigt, welche Gedanken sich dahinter verbergen. (...) Die Mehrzahl von uns kommt ja nicht aus purem Zufall aus dem Proletariat. Wir haben versucht, dem widernatürlichen Charakter des Kapitals auf die Art zu entgehen, daß wir Diebstähle und Betrügereien, Raubüberfälle und was weiß ich begangen haben. Die meisten sind das also geworden, weil sie die Lohnarbeit verweigern, aber am Konsum teilnehmen wollen. Sie sind auf diese Weise Gefangene des Systems, wie auch die, die sich politische Gefangene nennen. Ich persönlich lehne die Bezeichnung politischeR allgemein ab.

Manche haben in den Gefängnissen ein revolutionäres Bewußtsein erlangt und es wird sich in der Folge zeigen, ob sie dessen gerecht werden. Aber ihr werdet lernen müssen, uns als Militante zu begreifen.

J.Harms

„Risse im Fegefeuer“, Reiner Padligur-Verlag, Hagen, 120 Seiten,

ca. 15 DM

Thomas Braven: „Vogelperspektiven“, Bestelladresse: Paranoia City, Anwandstr. 28, Postfach 406,

CH-8026 Zurich, 100 Seiten, 10 DM