Die unerträgliche Machbarkeit des Machbaren

Der Berliner Senat legte Auszüge seiner olympischen Machbarkeitsstudie vor / Im Westen nichts Neues  ■  Von Matti Lieske

Berlin (taz) - Olympische Spiele in Berlin sind also machbar! Na sowas, wer hätte das gedacht? Wozu auch sollte eine Machbarkeitsstudie, wie sie der Berliner Senat nun in Auszügen der Öffentlichkeit präsentierte, gut sein, wenn sie nicht für machbar hält, was machbar sein soll. Natürlich sind Olympische Spiele in Berlin machbar, genauso, wie sie etwa in der Wüste Sahara machbar wären, wobei man zugestehen muß, daß die Voraussetzungen dort geringfügig besser wären als an der Spree. Dort wären immerhin die Bedingungen für die Kamelrennen bereits olympiareif und es gäbe genug Platz für die erforderlichen Neubauten.

Die Frage ist also nicht, ob Olympische Spiele in Berlin machbar sind, sondern wieviel sie kosten, was sie zerstören und wo der ganze olympische Klump hingeklotzt werden soll. Und hier geizt die Studie mit verwertbaren Informationen, was zugegebenermaßen zu einem solch frühen Zeitpunkt anders auch gar nicht sein kann. Immerhin wird bestätigt, was alle schon wußten: während Barcelona zum Zeitpunkt seiner Bewerbung bereits 27 der erforderlichen 37 Wettkampfstätten vorweisen konnte, muß Berlin buchstäblich bei Null anfangen.

Für die Spiele wird eine Sporthallenkapazität von 79.200 Zuschauern veranschlagt, vorhanden sind zwei Hallen, die mit Wohlwollen - als olympiareif angesehen werden können und 5.700 Plätze bieten. 19.000 Plätze sollen durch Modernisierung bzw. Ersatz vorhandener Hallen (Deutschlandhalle, Eissporthalle) geschaffen werden, 8.500 durch die Umnutzung von Messehallen, 46.000 müssen neu erstellt oder in Ostberlin gefunden werden, wo es dummerweise genauso mau aussieht wie bei den westlichen Brüdern und Schwestern. Benötigt werden noch eine Olympiahalle für 16.000 Besucher und sechs Hallen für je 5.000 im Schnitt. Hinzu käme der Bau eines Tennisstadions mit 10.000 Plätzen, - wobei der liebe Tiriac allein weiß, was die Stadt später mit solch einem Trumm anfangen soll sowie der Ersatz des Poststadions und des Radstadions Schöneberg und die Renovierung des Olympiastadions.

Keine Gigantomanie

Über Standorte und Kosten dieser Projekte wird in der Studie nichts gesagt, beides hängt wesentlich von künftigen Verhandlungen mit Ostberliner Stellen ab. Auf jeden Fall soll die Planung nach den Wünschen des derzeitigen Senats im Rahmen einer sinnvollen Stadtentwicklung und ohne Gigantonomie erfolgen. Berlins Mister Olympia, Staatssekretär Kuhn (Alternative Liste) beispielsweise möchte die erwarteten 3,25 Millionen Olympiateilnehmrer (Beteiligte und Zuschauer), möglichst ausschließlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Stadt bewegen und den Autoverkehr - wenn es sein muß, mit Fahrverboten eindämmen. Das zu errichtende Olympische Dorf soll nach seinem Wunsch auf bisher den Alliierten gehörigen Arealen gebaut werden und 5.500 neue Wohneinheiten bergen.

Das alles ist sehr ehrenwert und sicher lieb gemeint, nur entwickeln Olympische Spiele gemeinhin eine recht widrige Eigendynamik, unter anderem, weil sich an ihnen viele unangenehme Zeitgenossen eine goldene Nase verdienen möchten. Wie einst in den Ländern Lateinamerikas, Asiens und Afrikas Bahnlinien nicht gebaut wurden, um die Städte und die Menschen miteinander zu verbinden, sondern von den in ausländischer Hand befindlichen Bergwerken und Plantagen direkt zur Küste liefen, um die Beute schnell in die Metropolen schaffen zu können, orientieren sich olympische Infrastrukturmaßnahmen in der Regel streng an den Bedürfnissen der Spiele und nicht an denen der Bevölkerung. Die Verkehrswege verbinden Wettkampfstätten, Pressezentren, Luxushotels, Olympisches Dorf, Flughäfen und Bahnhöfe.

Heulen und Zähneklappern

Außerdem dürfte es schwierig werden, die Utopie der Autofreiheit zu verwirklichen. Berlins Landessportbund -Präsident Manfred von Richthofen prophezeite bereits, daß die Basis der Alternativen Liste wohl aufheulen werde angesichts der „notwendigen“ Straßenbaumaßnahmen. Auch die Erfahrungen anderer Olympiastädte mit den Olympischen Dörfern geben keinen Anlaß zur Euphorie. In Seoul mußten Aspiranten bereits einen Haufen Geld bezahlen, um nur in den Topf zur Verlosung der 5.000 sündhaft teuren Wohungen zu gelangen, in Barcelona wurde der Grund und Boden den Baufirmen kostenlos zur Verfügung gestellt und ihnen gestattet, die Wohnungen hinterher zu horrenden Preisen zu verscherbeln. Daß der rot-grüne Senat all dies verhüten möchte, sei ihm gern geglaubt, aber wer sagt, daß die weitere Planung bis zum Jahre 2000 oder 2004 in seinen Händen bleibt. Nicht auszudenken, wenn das delikate Olympia -Projekt einem CDU-Senat in die Hände fällt. Abgesehen davon nähren die bisherigen Erfahrungen mit dem rot-grünen Senat nicht gerade den Glauben, daß sich ausgerechnet die Olympiavorstellungen der AL durchsetzen werden.

Keineswegs verfehlt war die Frage eines Journalisten der (Ost-) Berliner Zeitung, den die Olympiageilheit des Westens sichtlich irritierte, was denn der Ostteil der Stadt von dieser Olympiade eigentlich Gutes erwarten solle. „Gehen Sie doch mal auf den Prenzlauer Berg“, empfahl er, „da haben die Leute ganz andere Sorgen als Olympia“. Im übrigen verwies er darauf, daß alle, die sich im Osten bisher positiv zu der Sache geäußert hätten, Sprößlinge des alten Staatsapparates gewesen seien und nach dem 6. Mai mutmaßlich ohnehin nichts mehr zu melden hätten.

Der Regierende Bürgermeister Walter Momper ist dennoch entschlossen, die Machbarkeitsstudie, wenn sie in zwei Wochen endgültig fertig ist, dem Ostberliner Magistrat vorzulegen. Mit der Einrichtung einer Olympia GmbH soll allerdings bis nach den DDR-Wahlen gewartet werden.

Ziemlich wenig ist mit den in der Studie angeführten Zahlen zur Finanzierung anzufangen. Die Gesamteinnahmen werden auf 3,2 Milliarden DM geschätzt, wobei der relativ hohe Betrag von 1,5 Milliarden DM verwundert, der für die Einnahmen aus Sonderfinanzierungsmitteln (Lotterien, Münzen, Briefmarken) veranschlagt ist. Barcelona kalkulierte in diesem Bereich zum Zeitpunkt seiner Bewerbung noch mit bescheidenen 130 Millionen Dollar, Seoul nahm dafür knapp 260 Millionen Dollar ein.

Die operativen Ausgaben (Bewerbung, Organisation, Veranstaltungen) werden mit 1,2 Milliarden DM etwa so hoch wie in Barcelona veranschlagt, wobei festzuhalten ist, daß Barcelona mit der Gratisarbeit von rund 100.000 freiwilligen Helfern kalkulierte. Der Überschuß der Gesamteinnahmen über die operativen Ausgaben betrüge laut Studie also rund zwei Milliarden DM, die für Investitionen im Bereich der Infrastrukur - neben der Verbesserung von Verkehrsverbindungen vor allem Unterkünfte „für gehobene Ansprüche“ - und zum Bau von Sportanlagen zur Verfügung ständen.

Wie rapide die kalkulierten Investitionen allerdings in die Höhe schießen können, zeigt das Beispiel Lillehammer (Norwegen), das die Winterspiele 1994 ausrichtet. Statt der geschätzten 400 Millionen stiegen die Kosten dort inzwischen auf 2,1 Milliarden DM.

Ein Trost bleibt für die Berliner. Staatssekretär Kuhn berichtete, daß die US-Streitkräfte in Berlin für die Ausrichtung der olympischen Wettkämpfe im Schießen großzügigerweise ihre Schießstände angeboten hätten. Wenn das IOC jetzt noch Napalm-Werfen, das Kidnappen ausländischer Staatsoberhäupter und die Belagerung von Botschaften mittels Rockmusik ins olympische Programm aufnimmt, ist Olympia 2000 an der Spree schon fast gerettet.