Der Gegner heißt SED-PDS

Montag ist auch in Schwerin Demonstrationstag / Auch in der nördlichen DDR-Provinz hat „die Partei“ nichts mehr zu lachen  ■  Aus Schwerin Thomas Mösch

Montag ist Demotag, nicht nur in Leipzig oder Dresden. Auch in der nördlichen DDR-Provinz wird montags protestiert. In Schwerin zum Beispiel. Letzten Montag trieb es wieder ganz besonders viele Menschen auf die Straße. Das Neue Forum hatte zum Protest gegen die SED-PDS gerufen.

Eine Stunde vor der Demo herrscht noch hektische Betriebsamkeit im Infobüro des Neuen Forums in der Goethestraße. In den beiden kleinen Räumen drängen sich die Menschen. Sie verlangen nach dem Statut der Bürgerbewegung, dem Programmentwurf und dem 'Aufbruch 89‘, der - noch handgemachten - Zeitung der Schweriner Gruppe. Viele spenden Geld, denn Spenden sind bisher die einzige Quelle, aus der Büromiete und zwei hauptamtliche Mitarbeiter bezahlt werden. Bald soll wenigstens die räumliche Enge ein Ende haben. Die SED-PDS räumt Teile des Gebäudes ihrer Bezirksleitung für die oppositionellen Gruppen. In Schwerin sind das neben dem Neuen Forum die SPD, Grüne Liga und Grüne Partei.

Eingeleitet wird die Demo traditionell mit dem Friedensgebet in drei Kirchen. Der in typisch norddeutscher Backsteingotik gebaute Dom ist bis auf den letzten Stehplatz gefüllt. In eisiger Kälte lauschen die Menschen der Predigt der zwei Pastoren. Vom Riesen Goliath, großgeworden durch Egoismus und Machtbesessenheit, ist da die Rede und von der Schwierigkeit, aus diesem Riesen wieder einen ganz normalen Menschen zu machen. Gemeint ist natürlich die SED. Gewaltfreiheit wird angemahnt, so beschwörend, daß auch dem letzten der Ernst der Lage deutlich wird - dazu das Gedicht Gewalt von Erich Fried. Die Andacht endet mit einem Gebet für den Frieden in der DDR und gegen den aufkommenden Nationalsozialismus.

Draußen auf dem Alten Garten, dem Platz zwischen Schloß, Museum und Theater, ist das Nationale an diesem Abend nur Nebensache. Unter den rund 10.000, die gekommen sind, sind diejenigen mit Regenschirm weitaus zahlreicher als die mit Schwarz-Rot-Gold. Das Blau-Gelb-Rot Mecklenburgs wird mindestens genauso oft geschwenkt. Parolen gegen Stasi und SED-PDS bestimmen das Bild. Der erste Redner vom Neuen Forum will seinen Namen nicht nennen. Er hat Morddrohungen erhalten - weil er an der Aufdeckung eines Stasi -Munitionslagers bei Crivitz, 20 Kilometer östlich von Schwerin, beteiligt war, mutmaßen Mitglieder des Neuen Forums. Als ein anderer den Namen Honecker erwähnt, bricht ein Pfeifkonzert los, das zu tosendem Beifall wird, als zwei Männer einen Pappsarg mit der Aufschrift „SED-PDS“ nach vorn tragen. Der Redner prangert die Verflechtung der SED mit der Stasi an: „Eigentlich müßte man von SED-MfS (Ministerium für Staatssicherheit; d.Autor) sprechen!“ - Der gemeinsame Gegner SED-PDS eint an diesem Abend alle: Neues Forum, Sozialdemokraten, Grüne - sogar die ehemaligen Blockparteien LDPD und NDPD sind mit von der Partie. Offenbar stört es niemanden, daß auch sie 40 Jahre das System gestützt haben. Und so erntet der LDPD-Redner stürmischen Beifall, als er die neuen Ziele seiner gewendeten Partei bekanntgibt: „Gegen weitere Sozialismusexperimente, für soziale Marktwirtschaft und staatliche Einheit Deutschlands.“

Nach gut einer Stunde schon liegt der Platz wieder so einsam da wie an jedem Abend. Nur das Plakat mit dem durchgestrichenen SED-Emblem, das ein Demonstrant unter dem nagelneuen Namensschild am Gebäude der benachbarten SED -Kreisleitung stehengelassen hat, erinnert noch an den Volkszorn, der sich hier gerade Luft gemacht hat.