100 DDRlerInnen in 1 Turnhalle

■ In Kattenturm Notquartier eingerichtet / 100 Menschen kamen gestern an

Da kommen sie und gucken betreten. In die Fernsehkameras, die pünktlich da sind, um die triste Premiere abzufilmen: erste Bremer Turnhalle frei für DDR-ÜbersiedlerInnen, seit gestern 17 Uhr in Kattenturm. Fast 100 blasse Menschen steigen aus dem Bus, schnappen ihr kleines Gepäck: Rucksack, Reisetasche, Plastiktüte. Einer hat eine Gitarre. Der erste Blick hinein. Das haben sie nicht erwartet. Einige belegen zumindest die Etagenbetten am Fenster, da kann man was auf die Fensterbank legen. Fast 100 Männer, Frauen, Großeltern, Kinder in einem Saal, unter Basketballkörben und Ringen an Seilen. Noch riecht es nach Turnhalle. Wieviele werden hier schnarchen, schreien, reden, weinen? Nebenan der Umkleideraum mit zweimal 6 Duschen, außerdem 6 Klos. Das ist schon viel.

Nachmittags haben Freiwillige aus der Notunterkunft am Leibnizplatz mit der betreuenden Johanniter-Unfallhilfe Etagen-Betten aufgebaut, Matratzen und Steppbetten ausgebreitet. Die Helfer arbeiten gratis: „Wir haben doch bei der Ankunft auch alles vorgefunden.“ Böcke, Barren, Kästen, Matten sind an den Rand geschoben. Handtücher und Essen wird es geben. Und das versprochene Bemühen, daß dies hier „nur Tage, nicht Wochen“ dauern wird.

Cord Cordes von der Johanniter-Unfallhilfe hat morgen seinen letzten Tag, will und kann nicht mehr: „Ich bin allein für Betreuung und Beratung von 500 Leuten zuständig. Da konnte ich die harten Jungs höchstens mal im Vorbeigehen zusammenscheißen.“ Auf einem Zettel am Eingang bittet der Hausmeister, Spiegel nicht

aus den Halterungen zu nehmen und die Toiletten nach Gebrauch zu spülen. Die Menschen machen ihre tapferen Gesichter: „Wollen hoffen, daß es weitergeht. Wollen zufrieden sein.“ Die Kinder erobern inzwischen die Klettergerüste. Lächeln mit Zahnlücken schüchtern in die Kameras. Zurück will niemand: „Die haben uns genug verarscht.“ Eine Erfurterin blickt in die Runde: „Hauptsache, die saufen nicht wie in Gießen - von früh bis früh, immer saufen!“ Eine junge Frau steht verzweifelt vor dem Bett, der neuen Heimat: „Hätte ich das gewußt, wär ich nicht gekommen.“ Ihre Schwester ist hochschwanger, Mutter und drei Kinder dabei. „Willst Du oben oder unten schlafen?“ frage ich ihr kleines Mädchen mitten in dem lärmenden Saal. „Bei Mama!! “ S.P