Legales Hausbesetzen

■ Diskussion zum Thema „Genossenschaftliches Wohnen“ am Prenzlauer Berg / Zehn Wohnungen zum Besetzen freigegeben

„Wir haben ein Haus hier besetzt, aber wir können nicht damit anfangen, es zu reparieren, weil wir rechtlich nicht abgesichert sind“, beklagt sich ein junger Mann in dem vollgepropften BI-Laden am Prenzlauer Berg. Der Sprecherkreis der Bürgerinitiativen hatte zum Thema „Genossenschaftliches Wohnen“ eingeladen. Gekommen waren gut 100 Menschen, vom Ostberliner Handwerker bis zum Kreuzberger Integrationsstrategen. Bislang hat in der DDR der Staat den Daumen auf den Häusern. Eine Genossenschaft zu gründen, ist drüben ein Schritt in Richtung Privatisierung. Und das Interesse an der Privatisierung des Wohnraums war auf der Versammlung groß, obwohl die Mieten dann steigen werden.

Als erste Maßnahme zur Unterwanderung staatlicher Wohnungsplanwirtschaft hat die Bezirksverwaltung Prenzlauer Berg kurzerhand zehn leerstehende Häuser zur „Instandbesetzung“ freigegeben. „Ja, woher weiß man denn, welche Häuser schon besetzt sind und welche nicht? Ich war beim Bürgermeister, aber da konnte mir keiner Auskunft geben“, beschwert sich ein künftiger Besetzer. Wie man die inverstierte Bauleistung rechtlich absichern könne, wollte ein anderer wissen. Ob es rechtlich möglich sei, das genossenschaftlich instandgesetzte Haus später eigentumswohnungsweise an die einzelnen Genossen zu verteilen, fragte ein Dritter. „Das sind ja lauter Sozialdemokraten hier“, stöhnte ein Kreuzberger ganz leise.

Das Interesse an Wohnungseigentum ist in der DDR deshalb so groß, weil es gar nicht einfach ist, sonst an eine Wohnung zu kommen. Man muß sich von einer Behörde auf die Warteliste setzen lassen. Wer jünger als 26 und kinderlos ist, wird gleich wieder von der Liste gestrichen, die trotzdem fast 100.000 Wohnungssuchende umfaßt. Selbst Dringlichkeitsfälle warten fast ein Jahr. Wenn beispielsweise nach einer Scheidung der Frau und den Kindern die Wohnung zugesprochen wurde, dauert es noch Monate, bis dem Exmann etwas Neues zugewiesen wird und er die Exfamilie verlassen kann. Mit großen Schwierigkeiten kämpfen auch Betriebe, die kurzfristig Wohnungen für Mitarbeiter stellen müssen, die für einige Zeit außerhalb ihrer Heimatstadt arbeiten müssen. „Die Betriebe zahlen Schwarzmieten bis zu 700 Mark für eine kleine Wohnung an die legalen Hauptmieter, sonst bekommen sie auf die Schnelle gar nichts“, erzählt ein Ingenieur aus Sachsen, der derzeit in Ost-Berlin arbeitet.

Die offiziellen Mieten sind freilich unschlagbar preiswert: eine Mark pro Quadratmeter für normalen Altbau, für „rekonstruierten“ Altbau nicht viel mehr. Das wird jedoch nicht so bleiben. „Die Miete bringt nur ein Drittel des Geldes, das man für die Instandhaltung braucht“, trug ein Jurist auf der Versammlung vor. Auf eine Verdreifachung der Mieten werden sich deshalb zumindest die künftigen Genossenschaftler und Hauseigentümer einrichten müssen.

Eva Schweitzer