„Handgranatenwerfen auf Zensur“

■ Der Ostberliner Totalverweigerer Michael Mai, 22, über den Wehrkundeunterricht in der Schule, den geplanten Zivildienst in der DDR und die Abschaffung der Wehrpflicht

Gestern gab es in Ost-Berlin die erste deutsch-deutsche Pressekonferenz von Totalverweigerern. Dort wurde gefordert, die allgemeine Wehrpflicht ganz abzuschaffen, statt den bisherigen DDR-„Bausoldatendienst“ durch einen Zivildienst zu ersetzen. Außerdem wurde der Senat aufgefordert, den Berliner Totalverweigerer Gerhard Scherer nicht in den westdeutschen Knast auszuliefern. Der Wehrdienstverweigerer Michael Mai war bei der Pressekonferenz dabei.

taz: Du hast dich als erster Totalverweigerer der DDR öffentlich erklärt. Warum verweigerst du total?

Michael Mai: Das ist ein längerer Prozeß, die Konfrontation damit hat schon in der Schule angefangen. An eine Sache kann ich mich besonders deutlich erinnern: Im Sportunterricht wurden nachgebildete Weltkrieg-II-Handgranaten als „Wurfmittel“ benutzt statt eines Schlagballs. Da gab es auch Zensuren drauf. Es dauerte einige Zeit, bis mir das bewußt wurde, das Ding hieß „F1“, außerdem hatte ich im Fernsehen einen Kriegsfilm gesehen, in dem diese „Wurfmittel“ vorkamen. Ab der neunten Klasse habe ich das dann verweigert und statt dessen Kugelstoßen gemacht. Ab dieser Klasse gab es dann mehrwöchige praktische Übungen, die Jungs fuhren nach außerhalb ins Wehrlager, wo man uniformiert wurde, durch den Dreck robben und Schießübungen machen mußte. Die Mädchen blieben zu Hause und machten in der Schule einen Zivilverteidigungslehrgang. Für die, die die Wehrübungen verweigerten, gab es die Möglichkeit, bei den Mädchen mitzumachen.

Der Wehrkundeunterricht ist fester Bestandteil des Lehrplans?

Ja, ja. Aber nicht in die Wochenstunden integriert, das läuft in 14tägigen Lehrgängen. Inzwischen wurde das im Zuge der Veränderungen schon abgeschafft. Auf die kalte Tour, ohne Erklärungen, einfach gestrichen. Meiner Meinung nach darf das nicht so bleiben, da muß es eine Aufarbeitung geben.

Irgendwann kam dann deine Einberufung.

Zunächst war ich nicht mehr mit dem Thema konfrontiert, da ich keine staatliche Lehre gemacht habe. Bei staatlicher Lehre wäre das weitergegangen und komplizierter geworden, sich den Wehrübungen zu verweigern. Die sind mit dem Lehrvertrag gekoppelt. Bei der Musterung war mir dann klar, daß höchstens der Bausoldat infrage kommt, also keine Waffe. Ich habe das auch vor den Untersuchungen erklärt, das lief ohne große Diskussionen. Dann wurde ich bis Herbst letzten Jahres in Ruhe gelassen. Im November kam die Einberufungsüberprüfung. Denen habe ich dann meine öffentliche Erklärung der Totalverweigerung geschickt, aber bisher keine Reaktion bekommen.

Ist die Existenz von Totalverweigerern seit der Wende überhaupt mal Thema in den DDR-Medien gewesen?

Nein. Die Medien haben z.B. meine Erklärung auch bekommen, aber nicht reagiert. Wir werden aber auf jeden Fall mit dem Thema an den runden Tisch gehen am nächsten Montag. Wir wollen ein Mitspracherecht haben, denn die erste Lesung des Zivildienstgesetzes in der Volkskammer war bereits vergangenen Donnerstag. Der Verteidigungsminister sprach sinnigerweise nicht von Ersatz- oder Zivildienst, sondern von einer „freiwilligen Entscheidung von Wehrpflichtigen“. Ein Widerspruch in sich. Wenn es ein Zivildienstgesetz geben wird, dann hat das auch die weitere Kriminalisierung von Totalverweigerern zur Folge.

Welche Nachteile erwartet ihr von der Einführung eines Ersatzdienstes?

Ein ziviler Ersatzdienst mit sozialem Anstrich ist keine Lösung. Er wird nur unser Ziel, die Abschaffung der Wehrpflicht, schwerer machen. Durch den Einsatz von Wehrdienstpflichtigen im Gesundheits- oder Sozialwesen entsteht ein Sachzwang, wie die Situation in der Bundesrepublik zeigt. Würde dort die Wehrpflicht abgeschafft, würde das Sozialsystem hart getroffen. Das ist in der DDR noch anders. Deshalb müssen wir jetzt, wo die Reduzierung des Wehrdienstes und sogar die Halbierung der Armee anstehen, etwas gegen die Wehrpflicht tun. Noch nie gab es einen günstigeren Moment.

Interview: Hans-Hermann Kotte

(Siehe auch Seite 6)