GRUNDKURS HOMO

■ „Ich bin schwul“ im Theater im Palast

Diesmal haben die Schwulen einen Platz ganz hoch oben gefunden, die Studiobühne des „Theater im Palast“ (tip) liegt im fünften Stock im Palast der Republik, auf gleicher Etage wie der Plenarsaal der DDR-Volkskammer. Seit Sonntag wird hier „Männerbiographien in der DDR: Ich bin schwul“ gespielt, eine szenische Fassung der Gesprächsprotokolle von 13 schwulen Männern, notiert von Jürgen Lemke und unter dem Titel „Ganz normal anders“ 1989 in der BRD erschienen.

Das Plakat zur Aufführung ist gräßlich: nackte Männerbeine, ein Männerarsch in steingewaschenen Hot Pants, eine Hand hält einen Ghettobluster: Schwule haben kein Gesicht, dafür ein sexy Hinterteil. Daß ein schwules Leben dennoch mehr ausmacht, davon erzählen die vier auf der Bühne: ein LPG -Bauer, ein Theologe von der Stadtmission, ein malernder Intellektueller und eine schreibende Jungtunte. In weiten Teilen entlang der Textvorlage wird dann ins volle Homo -Leben gegriffen und wohlportioniert die Stadien der anderen Lebensläufe vorgetragen und -gespielt. Die ganze Aufklärungslitanei rauf und runter: schmerzliches Coming out und Zoff mit den Eltern, Berufsverbot und Diskriminierung am Arbeitsplatz, verpatzte Eheversuche und Schwulengruppen im Kirchenschoß, Männlichkeitswahn und Tuntenhaß in der Subkultur, banaler Sex auf der Klappe und mentale Erhöhung in der künstlerischen Arbeit. Dias auf der Bühnenleinwand liefern die visuellen Verstärker: Klappengraffiti und Männerakte als Alltagsdeko aus der anderen Welt. Um den didaktischen Auftrag vollends auf den Höhepunkt der Zeit zu bringen, wurde in den zweiten Akt das Protokoll eines HIV -Positiven - das im Buch selbst nicht vorkommt - eingebaut. Prophylaxemäßig und zur aktuellen Vollständigkeit, dennoch nicht personalisiert, die vier Schauspieler lesen den Part auf lichtloser Bühne gleichmäßig aufgeteilt.

„Diese Homosexuellen haben ja ganz schön viele Probleme“, zwei ältere Damen tauschen beim Pausengang im Foyer das neu gelernte einander aus. Und so möchte man den armen Männern ständig über den gebeutelten Kopf streichen. Doch kein Aufklärungsstück über Schwule kann so larmoyant sein, daß es nicht auskäme ohne den homoeigenen Galgenhumor, ausgetragen im Tuntenpart. Da darf dann ordentlich rumgejuchzt und genäselt werden, aus der Anrede „er“ wird ein kokettes „sie“, und alle lachen befreiend auf. „Ich weiß, ich bin ein armes Luder“, resümiert der Intellektuelle, und die anderen stimmen fröhlich mit ein: „Arme Luder aller Länder vereinigt euch.“ Die Verluderung macht nicht halt an der Bühnenrampe: „Da sitzt auch ein armes Luder, da hinten auch. Und Hans Modrow ist am ludersten.“

So viel Vergesellschaftung des Problems wird aber ganz schnell gestoppt, und flott geht es im Text wieder zurück in die verschlossene miserable Welt der Homosexuellen. Damit die „Betroffenen“ sich ordentlich gut wiedererkennen und die übrigen noch enger zusammenrücken und sich üben können in mitleidiger Toleranz. Zwar hat das eine so wenig Effekt wie das andere, doch macht es viel Sinn für einen zufriedenen Theaterabend. „Meine Offenbarung war die reine Verzweiflungstat, keine bewußte Entscheidung, ein erster Schritt, von dem ich erwartete, daß nun alles für mich besser werden sollte“, spricht leise der Intellektuelle, „Ich hatte mich gründlich geirrt.“

So exotisch es für den Westler klingen mag - DDR-Schwule auf DDR-Bühne - ist es doch nichts Besonderes. Die Schwulen auf der Bühne drüben sind so gut und so schlecht wie die Schwulen hüben, die sozialistische Sozialisation hat nichts anderes hervorgebracht wie die kapitalistische. Und dieses Stück zu dieser Zeit auf jener Bühne ist ein Zufall nur, das gleiche Stück kann auch derzeit hier über die Bühne gehen, mit gleicher Resonanz und gleichem Erfolg und gleicher Aufmerksamkeit, die erdrückt.

Elmar Kraushaar

Männerbiographien in der DDR: „Ich bin schwul“, Theater im Palast. Vorstellungen bis zum 22. Februar ausverkauft, fünf Zusatztermine Ende Februar telefonisch erfragen: 0372/328 23 54.