SCHWARZE ECHSEN

■ Trashkrimis von „Black Lizard“ - ein neuer Berliner Kleinverlag

Hinten, am vernachlässigten Ende der Kurfürstenstraße, noch über die Potsdamer und den Pissrinnenausgang der U -Bahnstation hinaus, dort, wo seit neuestem ein bißchen rumsaniert wird, tagsüber, und nachts das Geld den Junkies, 30-Mark-Girls und jenen überlassen wird, die sich keinen Fernseher leisten können und deshalb bei Wegert im Schaufenster alle -zig Programme gleichzeitig gucken, dort hinten residiert in einem schuhkartongroßen Büro, halbe Treppe unter der Erde, ein 25jähriger zwischen Computer und Kaffeemaschine und verlegt Kriminalromane. Frank Nowatzki hat seine zusammengeborgten 100.000 Mark nicht etwa ins aufblühende DDR-Geschäft gesteckt, sondern in ein halsbrecherisches Solo-Unternehmen namens „Black Lizard„ -Bücher, und er hat vor kurzem die ersten drei Krimis auf den Markt geworfen, der so unberechenbar ist wie das Eismeer zwischen Nordkap und Spitzbergen. Bei den Black Lizards handelt es sich nicht etwa um gängige Privatdetektiv- oder Cop-Geschichten und schon gar nicht um englische Häkelkrimis mit fein säuberlich ausgelegten Fallstricken, sondern ausschließlich um harte Ware vom „extremen Rand der Kriminalliteratur“, wie es der knallrote Verlagsprospekt verspricht, von jenem Rand, der gemeinhin mit dem Begriff „Schwarze Serie“ recht und schlecht umschrieben wird.

Die Autoren der „Schwarzen Serie“, eines amerikanischen Krimi-Bastards der dreißiger und vierziger Jahre, befaßten sich in ihren Romanen und Short stories vornehmlich mit solchen Herrschaften, die mal kurz Zigaretten holen gehen und nie mehr zurückkommen, weil sie - wie bei Cornell Woolrich - am nächsten Morgen aufwachen, das Gedächtnis verloren und eine Leiche neben sich haben, oder - wie bei Jim Thompson - eben mal Lust verspüren, ihrem Nachbarn an den Kragen zu gehen. Derartige Kalamitäten führen fast schon zwangsläufig zu unfeinen Auseinandersetzungen, in deren Verlauf die Leute sich auf der Flucht oder auf der Suche wiederfinden und dabei in gesellschaftliche Sümpfe geraten, die ihnen bis dahin mehr als fremd waren: Sexbars, Müllhalden, Greyhound-Busbahnhöfe oder schmuddelige Absteigen irgendwo zwischen Omaha und Topeka. Die Stories der „Schwarzen Serie“ lebten vom zähen Willen ihrer Figuren, sich aufrechtzuhalten und den Faden nicht zu verlieren, vom Lowlife-Ambiente der zielsicher angetorkelten Kneipen und von ihrer kruden, ungebügelten Sprache. In den sechziger Jahren übernahm eine zweite Generation von Autoren Ideen und Interieurs der „Schwarzen Serie“ und bereicherte sie ausgiebig mit Elementen der Trash- und Sexliteratur und der entsprechenden B-Movies. Leute wie Charles Willeford, Peter Rabe oder Harry Whittington waren fortan im Gespräch.

Derartige Literatur ließ sich natürlich auch in den USA nur in billigen Heftchen oder Taschenbüchern verkaufen, schnell vergriffene Ware, die weder von den Zeitschriften besprochen noch von den Agatha-Christie-Fans gekauft wurde. Erst seit einigen Jahren gräbt man diese Autoren und ihren längst verschollenen Schund wieder aus und präsentiert sie, teilweise als „real american underground“ in den Krimiregalen neben Dashiell Hammett und Patricia Highsmith. In Deutschland hatten es die Anhänger solcher Kost bisher reichlich schwer, ihre Vorlieben überhaupt ausfindig zu machen. Krimilektoren kümmern sich hierzulande nur in den seltensten Fällen um eine genauere Spezifizierung ihrer Waren, da wird alles lieblos in gelben, roten oder schwarzen Reihen auf den Markt geworfen und wenn „Schwarze Serie“ draufsteht, kann man sich lediglich darauf verlassen, daß die Hauptfigur des Buches einen Trenchcoat trägt.

Anders bei Black Lizard. Frank Nowatzki legt Wert auf ein eng umgrenztes Programm und exzellente Aufmachung. „Daß man einen Charles Willeford zwischen Ed McBain und Ross Thomas suchen muß, alles in Gelb, ohne jegliche Unterscheidung, ist doch 'ne Schande. Es scheint hier in der Hinsicht alles immer noch auf den Bahnhofskiosk angelegt zu sein.“ In die Drehständer passen seine Bücher tatsächlich nicht. Es sind Liebhaberobjekte mit suggestiven Farbcovern der guten alten Psychedelic-Schule, sie kosten um 20 Mark und erscheinen in 3.000er-Auflage. Ob er so viele Fans findet, scheint eher fraglich, jedenfalls kann er sich darauf verlassen, daß der Name Black Lizard den hartgesottenen Anhängern nicht gänzlich fremd sein wird, denn der kalifornische Kleinverlag Creative Arts Book verlegt seit einigen Jahren in seiner Black Lizard-Reihe eben jene vergessenen schwarzen Klassiker. Nowatzki hat sich den Namen der Reihe und Teile des Verlagsprogramms für den deutschsprachigen Raum besorgt, ohne sich jedoch völlig an den amerikanischen Verlag gebunden zu haben, so daß ihm genug Raum bleibt für eigene Vorlieben.

Seine ersten drei „Black Lizard„-Bücher geben davon einen Vorgeschmack. Jim Nisbets Tödliche Injektion gehört zum Bösartigsten, was ich seit langer Zeit gelesen habe: Die Geschichte eines Gefängnisarztes, der eine Exekution durchzuführen hat und anschließend ins Grübeln gerät. Wenn er etliche Seiten weiter zwei Flaschen Whiskey und ein paar Schuß Heroin einkauft, weil die abgefuckte junge Dame auf dem Beifahrersitz immer noch einen besseren Eindruck macht als die Mumie vor dem häuslichen Fernseher, beginnt man zu ahnen, daß es sich um eines der seltenen Bücher handelt, bei denen man dem Klappentext tatsächlich Glauben schenken darf: „Im Vergleich zu Nisbets Story wirkt der Film Blue Velvet wie eine Disneyproduktion.“ Etwas gemächlicher kommt Murray Sinclairs Kein Glück in L.A. daher, 217 Seiten Einzelsuchtrupp eines Schriftstellers aus Los Angeles, der einfach nicht glauben will, daß man ihm seine Freundin so grundlos, mir nichts dir nichts weggemordet hat

-einer von den Männern, die tun, was sie tun müssen, ohne dabei den Humor zu verlieren, und trotz anhaltender lebensbedrohender Unternehmungen noch Zeit finden, sich um ein Waisenkind zu kümmern. Beim dritten Black Lizard handelt es sich um eine Anthologie mit zwanzig knochentrockenen Kurzgeschichten aus den letzten zwanzig Jahren, vom großen Jim Thompson bis zum unsäglichen Max Allan Collins, darunter Ein Killer im Dunkeln“, die haarsträubendste Schlangengeschichte, die mir je untergekommen ist.

Wermutstropfen in alldem sind - wie so oft bei Kriminalromanen - die Übersetzungen. Es hat sich herumgesprochen, daß Übersetzer hart arbeiten müssen und schlecht bezahlt werden; um festzustellen, daß es sich bei LaBrea und Melrose nicht um Stadtteile, sondern um Straßen in Los Angeles handelt, hätte allerdings ein Blick auf den Stadtplan genügt. Man muß den Übersetzern ja nicht gleich einen Urlaub in Kalifornien finanzieren, aber vielleicht wird hier doch am falschen Ende gespart.

Die nächste Lieferung von Black Lizard gibt es im März, Peter Rabes Leben im Vacuum, eine Trashperle aus den sechziger Jahren: „Port war Gangster, aber er hatte es satt, und er hatte ein Mädchen, das bereit war, ihm beim Ausstieg aus dem schmutzigen Geschäft zu helfen. Das einzige Problem war, lebend auszusteigen.“ Vielversprechende Schwierigkeiten.

Günther Grosser