Schnelle Entscheidungen in der Bundesrepublik sind notwendig

H.Fabini macht sich in der in Bukarest erscheinenden Zeitung der Rumänien-Deutschen 'Neuer Weg‘ Gedanken über die Zukunft der Minderheit  ■ D O K U M E N T A T I O N

Die Ereignisse der letzten Wochen haben schlagartig eine Welt menschlicher Erniedrigung und Demütigung, voller Verlogenheit und Angst zusammenbrechen lassen. Für einen Großteil unserer Landsleute wurde der Begriff Hoffnung nur noch mit der Auswanderung assoziiert, während ein anderer, wesentlich geringerer Teil oft krampfhaft an der Erhaltung des Vorhandenen festhielt. Tatsächlich war besonders in den letzten Jahren eine Argumentation für das Aufrechterhalten der deutschen Minderheit in Rumänien angesichts der Assimilierungstendenzen und der bilateralen, die Auswanderung betreffenden rumänisch-deutschen Abmachungen kaum noch vertretbar. Wie wird nun die Zukunft aussehen, wenn in absehbarer Zeit die Reisefreiheit Wirklichkeit wird? Es bleiben uns möglicherweise nur wenige Wochen Zeit, um uns auf entscheidende Weichenstellungen in unserer Existenz einzustellen und vorzubereiten.

Wie auch in der jüngeren Vergangenheit werden wir Deutschen in Rumänien unser Schicksal letztlich nicht selbst entscheiden können, insbesondere dann nicht, wenn der eigenen Willensbildung vorgegriffen wird durch Entscheidungen, die über die Köpfe der Siebenbürger Sachsen und Banater Schwaben hinweg gefällt werden, wie es in den letzten Jahrzehnten zwischen Bonn und Bukarest oft geschehen ist. Unsere Kraft ist zur Zeit zu gering, als daß wir eine politische Vertretung aufstellen könnten, die als Partner mit den Führungen der beiden Länder verhandeln kann, von denen unser Leben schicksalhaft abhängt. Wir müssen uns dessen bewußt sein, daß Sonderforderungen unsererseits, einfach bedingt durch unsere Zahl, enge Grenzen gesetzt sind.

Standortbestimmung

Das jahrzehntelange Nichtberücksichtigen von materiellen und menschlichen Voraussetzungen in der Planung von Investitionen, die forcierte Industrialisierung bestärkt durch den Wunderglauben an westliche Technologie, der Hang zu Mammut-Projekten, grobe Fehler in der (Fach-)Ausbildung einer ganzen Generation, vor allem aber Lüge und Gesetzesbruch von höchster Stelle sind nur einige Ursachen der schweren Schäden, mit denen sich die Landesführung in Zukunft auseinandersetzen muß. Langzeitschäden sind auch durch die im Zeichen der „Homogenisierung“ des rumänischen Volkes durchgeführte Aussiedlung von Juden, Deutschen und zuletzt auch von Magyaren entstanden. Der seit 1978 praktizierte Verkauf der deutschen Bevölkerung Rumäniens hat wohl eine pragmatische, nicht zuletzt bundesdeutsch -innenpolitische Rechtfertigung gehabt, hat sich aber durch seine undifferenzierte Art, der jede soziale oder politische Komponenten fehlte, zersetzend für diese Bevölkerungsgruppe ausgewirkt. Nach zwölf Jahren mit steigenden Auswanderungsquoten und Kopfpreisen sind die Folgen in den Städten und Dörfern Siebenbürgens und des Banats für jeden evident.

Gibt es also für die Deutschen in Rumänien eine Zukunft oder soll man die neuerworbene Freiheit des Landes dazu ausnützen, den Auswanderungsprozeß möglichst schnell, und diesmal mit mehr Anstand als bisher, zu Ende zu führen?

Die Antwort auf diese Frage hängt meiner Meinung nach davon ab, ob es gelingt, die deutsche Minderheit in Rumänien sinnvoll in den wirtschaftlichen Aufbau des Landes einzugliedern. Die skizzierte Entwicklung der letzten Jahrzehnte hat unter anderem auch dazu geführt, daß die Erhaltung dieser Minderheit um ihrer selbst, ihrer Eigenart und ihres kulturellen Erbes Willen, besonders für die Jugend, als Motivation zum Hierbleiben nicht ausreicht. Ohne die Möglichkeit, das eigene Wesen effizient in den Wirtschaftsprozeß einbringen zu können, mit anderen Worten: ohne eine feste Verankerung in der wirtschaftlichen Basis, ist die Zukunft der deutschen Minderheit in Rumänien gefährdet. Folklore, Architektur, Gemeinschaft, wie schön und beeindruckend sie auch sein mögen, können die Einbindung in das Wirtschaftsgefüge des Landes nicht ersetzen.

Joint-ventures mit der BRD

Eine entscheidende Bedingung für jede ausländische Wirtschaftshilfe wird die Aussicht auf Rentabilität der jeweiligen Betriebe sein, und die wird wohl in erster Linie über Gemeinschaftsunternehmen (sogenannten Joint-ventures) verwirklicht werden können. Solche Unternehmungen können beispielhaft die wirtschaftliche Sanierung vor Augen führen, die für die hiesige deutsche Bevölkerung stabilisierend wirken wird.

Es ist denkbar, daß ein größerer Betrieb in Kronstadt, Hermannstadt, Temeswar oder Arad zu einem bestimmten Prozentsatz von einer westlichen Firma aus einem deutschsprachigen Land übernommen wird. Das bedeutet, daß in dieser Stadt für längere Zeit eine Gruppe von ausländischen Spezialisten mit ihren Familien wohnen werden, wie es auch im Fall der beiden bisher verwirklichten Gemeinschaftsbetriebe Renk-Reschitza und „Oltcit“ in Craiova geschah.

Diese Spezialisten finden in Siedlungsgebieten der deutschen Minderheit eine soziale und kulturelle Struktur vor, die ihnen den Aufenthalt in Rumänien attraktiver erscheinen läßt als in anderen Ländern. Für die deutsche Minderheit kann sich dieser Kontakt in mehrfacher Hinsicht positiv auswirken: Einerseits haben die Unterrichts- und Kultureinrichtungen davon zu gewinnen, andererseits kann dadurch eine gewisse, durch die Isolation der letzten Jahrzehnte bedingte allgemeine Rückständigkeit allmählich abgebaut werden. Es könnte ein Regenerierungsprozeß der deutschen Minderheit eingeleitet werden. Für die westlichen Fachleute kann das zeitweilige Leben in einem der Überflußgesellschaft in mancher Beziehung entgegengesetzten Raum, in dem sich menschliche Werte besonderer Art erhalten haben, von Interesse sein. Ohne dieses Modell weiter zu detaillieren, kann doch behauptet werden, daß die Aussichten auf Erfolg unter den angedeuteten Bedingungen nicht schlecht sind.

Dem Auswanderungsschub

entgegen wirken

Angesichts der von der Bundesregierung angemeldeten Fürsorgepflicht für die deutsche Minderheit in Rumänien ist es sinnvoll, sich zum heutigen Zeitpunkt Gedanken zu machen, wie einem massiven, möglicherweise auch panikhaften Auswanderungsschub entgegengewirkt werden kann. Schon die Tatsache, daß in Verhandlungen über Wirtschaftskooperation auch Anliegen der deutschen Minderheit im Sinne des oben Gesagten Erwähnung finden, kann entschärfend wirken.

Sicherlich kann der Auswanderungsprozeß, der besonders im ländlichen Bereich nur sehr langsam ins Rollen gekommen ist, nicht von heute auf morgen gestoppt werden. Desto nötiger ist es, möglichst bald Zeichen zu setzen, die andeuten, daß eine differenziertere Behandlung der Frage unter den neuen Bedingungen möglich ist.

Wenn es früher von bundesdeutscher Seite hieß, man hätte unter den Bedingungen des Ceausescu-Regimes keine Alternative zu dem Abkaufabkommen gehabt, so ist dieses Argument heute nicht mehr gültig. Es zeichnen sich endlich Möglichkeiten ab, etwas für die deutsche Minderheit in Rumänien zu tun. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß ein Großteil dieser Minderheit ihre Zukunftsaussichten auch nach den Ereignissen der letzten Wochen mit Skepsis betrachtet. Wenn nicht bald etwas unternommen wird, muß damit gerechnet werden, daß die etwa 60 Prozent der Minderheit, die seit kürzerer oder längerer Zeit um ihre Ausreise angesucht haben, so bald sich die Möglichkeit ergibt, das Land verlassen werden. Schnelle und wirkungsvolle Entscheidungen müssen in nächster Zeit von denen, die am Bestehen der deutschen Minderheit in Rumänien interessiert sind, getroffen werden.

('Neuer Weg‘ vom 9.1.1990; leicht gekürzt)