Ein angestrengter Ministerpräsident

Modrow und Momper in West-Berlin / Modrow versprach eine Überprüfung des Zählkartensystems  ■  Aus Berlin Kordula Doerfler

Zum ersten Mal in der Geschichte hat am Dienstag abend ein DDR-Regierungschef den Boden von West-Berlin betreten. Der regierende Bürgermeister von Berlin, Walter Momper, und DDR -Ministerpräsident Hans Modrow trafen sich zu einer dreistündigen Unterredung, bei der Probleme im Zusammenhang mit den Zählkarten im Reiseverkehr, das Wahlgesetz und ganz allgemein die Lage in der DDR besprochen wurden. Modrow brachte auch den Oberbürgermeister von Ost-Berlin, Krack, und den Leiter der ständigen Vertretung Bonns in der Hauptstadt der DDR, Bertele, mit.

Auf einer Pressekonferenz am späten Dienstag abend wurde das Gespräch sowohl von Momper als auch von Modrow als vertrauensvoll und offen gewürdigt, konkrete Ergebnisse waren jedoch nicht zu erfahren. Ein Treffen mit dieser Besetzung sei neu und zeitgemäß, so Modrow. Auf die vom Westberliner Senat geforderte Abschaffung der Zählkarten, die die DDR mit ihren neuen Reiseregelungen sowohl für die Einreise in die DDR als auch für den Transitverkehr verlangt, reagierte Modrow eher reserviert. Nach Meinung seiner Experten, so Modrow, seien die Zählkarten notwendig, um eine Übersicht über den Umfang des Aufenthalts von Besuchern in seinem Land zu erhalten. Er versprach zu überprüfen, ob dieses Verfahren vereinfacht werden könne, um eventuellen Staus auf den Transitstrecken vorzubeugen. Der DDR-Regierungschef versicherte auch, daß die persönlichen Angaben auf den Zählkarten - gefragt wird dort nach den Personalien - nicht in den Computern der früheren Stasi gespeichert würden.

Modrow äußerte sich auf Nachfrage auch zur aktuellen Lage in der DDR und in Ost-Berlin nach der Erstürmung der ehemaligen Stasi-Zentrale am Montag abend. „Ich bin dort mit den Worten 'Rote Sau‘ begrüßt worden, als ich versuchte, die Menschen von Gewalt abzuhalten.“ Er hoffe, so Modrow, daß diese Aktion einmalig bleibe und kein Signal für weitere Gewalttätigkeiten sei. Der Ministerpräsident verurteilte die Zerstörungen in den Räumen der Stasi: „Welche Schuld trägt ein Stuhl dafür, daß auf ihm die falschen Hintern gesessen haben?“ Kritik übte Modrow am Neuen Forum, das zu der Demonstration vor der Stasi-Zentrale aufgerufen hatte. Die Oppositionsgruppe hatte die Demonstranten aufgefordert, Steine und Mörtel mitzubringen, um in symbolischer Geste das Eingangstor zuzumauern. Er forderte das Neue Forum auf, in Zukunft mit Verantwortung für Gewaltlosigkeit einzutreten.

Der DDR-Regierungschef erneuerte seine Zusage, am kommenden Montag am runden Tisch teilzunehmen. Die Regierung der DDR bemühe sich, Vertrauen und eine Heimatbindung bei der Bevölkerung herzustellen. „Es ist nicht so einfach, zur Zeit in der DDR zu regieren“, beschrieb Modrow seine Lage sichtlich angestrengt und erschöpft.