Paradiesvogel in Uniform

Die Bundeswehr schaßt mit Admiral Elmar Schmähling ihren prominentesten „Nestbeschmutzer“ / Er war der eloquente Fürsprecher einer radikalen Abrüstung  ■ P O R T R A I T

Die fristlose Beförderung zum neugeschaffenen militärischen Dienstgrad „Ruheständler“ war von Bundespräsidenten persönlich unterzeichnet und erfolgte „ohne Angabe von Gründen“. Die Gründe für den unsanften Rausschmiß des 53jährigen Flotillenadmirals Elmar Schmähling braucht das Bundesverteidigungsministerium tatsächlich nicht mehr nennen. Der Betroffene selbst und die Öffentlichkeit können sie sich an einer Hand abzählen.

Spätestens seit Dezember 1988, als er in ungewöhnlich deutlicher Form das Auftreten von Bundeskanzler Kohl auf der alljährlichen Kommandeurstagung kritisiert hatte, gilt Schmähling als der prominenteste und ranghöchste „Nestbeschmutzer“ innerhalb der Reihen der Bundeswehr. Keine Talk-Show, keine Podiumsdikussion, kein Streitgespräch um Bundeswehr und Sicherheitspolitik, das auf den profunden Kritiker als Gast verzichten wollte, und Schmähling - nicht ohne einen Schuß persönliche Eitelkeit - kam gerne. In militärisch knappem Ton sagte er, was so gar nicht ins Konzept seiner Dienstherren und zum Prinzip des Kadavergehorsams paßt: Seit 1986 kritisiert er vehement die hierarchischen Strukturen des Kommandeurskorps, in Artikeln und Interviews fordert er eine drastische Halbierung der Truppenstärke der Bundeswehr auf 250.000 Mann und eine Reduzierung der Wehrdienstzeit. Er plädiert für einen sofortigen Modernisierungsstopp aller Waffensysteme und nennt die Nato-Truppen ungeschminkt, was sie nach offizieller Doktin gar nicht sein darf: eine „Angriffsarmee“.

Angesichts der Veränderungen in Osteuropa fordert Schmähling öffentlich die Reduzierung der Bundeswehr auf das Niveau einer Miliz nach Schweizer Vorbild. Bei seinem letzten großen Auftritt, Anfang Januar beim AL-Bildungswerk in Berlin, schickte der jetzige Flotillenadmiral a.D. auch noch die Nato-Truppen nach Hause, als er für einen Abzug aller Stationierungstruppen stritt. Im März wird sein Buch unter dem Titel „Der unmögliche Krieg“ erscheinen.

Auf der unteren Ebene der militärischen Hierarchie hat Schmähling mit seinen politischen Äußerungen sicher vielen Soldaten argumentative Schützenhilfe gegeben. Auf der eigenen hohen Rangstufe stand er weit und breit allein auf weiter Flur: Ein linker Kasper, eitel zudem und „publicitygeil“.

Daß Schmählings couragiertes Auftreten seine Vorgesetzten dennoch so an den Nerv traf, daß sie ihm im letzten November eine Moskau-Reise verboten, ihn kürzlich von einer hochrangigen Militärtagung aussperrten und jetzt sogar entließen, hat jedoch auch etwas mit der ungewöhnlichen Laufbahn des Admirals zu tun. Der Geschaßte war immerhin einer der erfolgreichsten im eigenen Stall. Mit seinen 53 Jahren hat Schmähling eine „Bombenkarriere“ hinter sich. 1971 verließ er die Führungsakademie der Bundeswehr als einer der jüngsten Admirale, und 1982/83, als die Friedensbewegung gegen die Nato-Nachrüstung auf die Straße ging, wurde Schmähling zum Leiter des Militärischen Abschirmdienstes MAD befördert. Nach eineinhalb Jahren stolperte der verheiratete Admiral zwar über eine Liebesaffäre mit einer Sekretärin, er wurde aber auf einen ranghohen Posten weitergehievt: er wurde Chef des „Amtes für Sicherheit und Übungen der Bundeswehr“. Qua Posten war er dort - von der Friedensbewegung heftig kritisiert - bis zu seinem Rausschmiß vor zwei Tagen der bundesdeusche Verantwortliche für die Durchführung des alle zwei Jahre stattfindenden Nato-Planspiels Wintex-Cimex, bei dem zuletzt u.a. der atomare Erstschlag gegen ein Vordringen der Russen nach einem möglichen Sturz Gorbatschows geübt werden sollte.

Schmähling selbst nannte seine von den Grünen und der SPD als „schweren Fehler“ und undemokratischen Akt bezeichnete Entlassung einen „skandalösen Versuch, kritische Geister kaltzustellen“. Sein Rausschmiß sei „durchaus kein Einzelfall“. Seit Kohls Amtsantritt habe die „Parteipolitisierung“ der Bundeswehr „in erschreckendem Maße zugenommen“. Vor zwei Jahren hätte er seine Entlassung vielleicht noch verstanden. Jetzt sei er aber „vom Zeitpunkt dieser Entscheidung völlig überrascht“. Und angesichts der politischen Veränderungen der letzten Wochen gibt es tatsächlich wohl keinen Zeitpunkt, wo Schmählings Entlassung so anachronistisch und politisch dumm anmutet wie jetzt.

Vera Gaserow