Politik nach ethnischer Zugehörigkeit

Auf Rama Cay herrscht Aufregung, der Ältestenrat tritt zu einer spontanen Sitzung vor den Ruinen des alten Schulhauses zusammen: Die beiden Kandidaten für das Regionalparlament sind verschwunden. Die Dorfältesten hatten eigens junge Leute bestimmt, die politische Erfahrungen erst sammeln sollten. Allerdings hatten sie entschieden, daß kein Rama für eine Partei antreten sollte. Es genüge doch, wenn Ramas als Verteter der Ramas im Regionalparlament säßen. Der Delegierte der Sandinistischen Front war daraufhin eigens mit dem Schnellboot auf die Insel gekommen und hatte die „boys“ nach Bluefields mitgenommen, um sie doch noch umzustimmen, auf der Liste der FSLN zu kandidieren. „Wir haben Leute ausgewählt, die wie Ramas empfinden und sich weder mit den Sandinisten noch mit der Uno noch mit YATAMA (einer Indianerorganisation) identifizieren“, erklärt Cleveland McCrae, der Dorfpastor. Für die indianischen Völker gilt: „no flag politics“ - keine Verwicklung in Parteipolitik.

Auf Rama Cay, einer Gemeinschaft von rund 300 Indios, wird eine Art Sozialismus gelebt. In einer Gesellschaft, wo jeder, dem es mal schlecht geht, bei seinen Nachbarn mitessen kann, geht keiner vor die Hunde. „Polizei brauchen wir keine“, versichert Bürgermeister Rufino Omier, „denn Verbrechen werden keine begangen, und Familienstreitigkeiten schlichten wir selber.“ Früher kümmerte sich in Bluefields kaum jemand um die paar Dutzend Indios auf ihrer Insel am anderen Ende der Bucht. Doch seit einiger Zeit kommen der Reihe nach die Kandidaten der Parteien herübergefahren und versprechen ihnen das Blaue vom Himmel. Für Rufino Omier ist das kein Fortschritt: „Der Wahlkampf könnte unser Volk entzweien.“

In Bluefields, der Hauptstadt der Autonomen Region Atlantik Süd, hat der Wahlkampf noch nicht richtig begonnen. Eine Gruppe von etwa 30 Personen, in T-Shirts mit dem Aufdruck „FSLN - Daniel for president“, läuft morgens durch die Innenstadt und ruft Wahlparolen. „Alles Staatsangestellte“, kommentiert einer, der alle lokalen Institutionen kennengelernt hat. Die Autonome Region kann zwei Abgeordnete in das 90sitzige Parlament in Managua entsenden.

Ray Hooker, der 1984 für die FSLN in die Nationalversammlung gewählt wurde, hat gute Aussichten, am 25. Februar in seinem Amt bestätigt zu werden. Er genießt hohes Ansehen, vor allem seit er im Oktober 1988 die Evakuierung vor dem verheerenden Hurrikan „Joan“ auf der Karibikinsel Corn Island leitete und die Sturmnacht mit den Inselbewohnern verbrachte. Auch das taz-Projekt des Wiederaufbaus der zerstörten Schulen von Bluefields hat der FSLN an der Atlantikküste politisch Punkte gebracht. Die Sandinisten bauen ihren Wahlkampf in erster Linie auf dem persönlichen Prestige ihrer Kandidaten und auf dem Autonomiestatut auf, das der Atlantikregion nach Jahren des bewaffneten Kampfes beschert wurde.

Die Wirtin des Minihotels, eines der wenigen Lokale, in dem man schon ab 7 Uhr Frühstück serviert bekommt, wählt Dona Violeta - die Kandidatin der Uno. Die Wirtin ist eine fromme Frau: Sonntag vormittag wird der Gast mit der Direktübertragung einer Messe aus dem benachbarten Costa Rica beglückt. TV aus Managua kann an der Atlantikküste nicht empfangen werden. Daher wissen die meisten Einwohner von Bluefields und Umgebung über den Wahlkampf im benachbarten Costa Rica besser Bescheid als über den im eigenen Land.

Doch das Interesse an den Wahlen ist ohnehin gering. Man rechnet an der Atlantikküste allgemein mit einem hohen Prozentsatz an Stimmenthaltungen. Aus diesem Grund ist Cyril Omier, der Chef des regionalen Wahlrates, überrascht über die Zahl der Eintragungen in die Wahlregister: 29.399 Personen oder 98,5 Prozent der potentiell Stimmberechtigten haben sich an den ersten vier Oktobersonntagen registrieren lassen. Das liegt nicht zuletzt mit daran, daß in einigen Gemeinden weit mehr Wahlwillige auftauchten, als man erwartet hatte. Gerechnet hatte Cyril Omier mit 400 pro Wahllokal, aufgeteilt auf vier Tage. „In La Cruz de Rio Grande kamen dann 300 auf einmal.“ Es gibt keinen Zweifel: Auch die wenigen noch in der Region aktiven Contras haben sich eintragen lassen. Das war deshalb möglich, weil jeder, der zwei Zeugen mitbringt, registriert werden muß, auch wenn ihn sonst keiner kennt und er keine Papiere bei sich hat. Es handelt sich um mestizische Contras, die für das antisandi nistische Bündnis Uno stimmen werden.

Die Miskitoguerilla YATAMA ist nicht mehr aktiv. Ihr ehemaliger Anführer Brooklyn Rivera durfte nach langwierigen Verhandlungen und auf Intervention des Ex-US-Präsidenten Jimmy Carter unter der Bedingung zurückkehren, daß er den bewaffneten Kampf aufgibt. Eine eigene Partei konnte er in der kurzen Zeit nicht mehr gründen. Jetzt macht er aus der Not eine Tugend: „Dies ist ein so kleines Land. Warum soll man die Leute durch so viele Parteien verwirren?“

Sowohl die Sandinisten als auch das Oppositionsbündnis Uno haben Rivera einen Listenplatz angeboten, weil sich die Indios mit dem ehemaligen YATAMA-Führer eher identifizieren als mit einer Partei der Pazifikküste. Rivera aber hat seine Leute schließlich auf die Liste der Christlich-Sozialen Partei (PSC) des Erick Ramirez gesetzt und kann sich zumindest in der Nordzone der Atlantikküste Hoffnungen auf zwei Parlamentssitze machen. In der Region Bluefields wird es weniger einfach sein, denn da haben die von der Pazifikküste zugewanderten Mestizen inzwischen eine knappe Mehrheit. Und die Mestizen sind mehrheitlich sandinistisch.

Die creoles, die etwa 35 Prozent starke schwarze Bevölkerung, haben für die Sandinisten nie viel übrig gehabt. Sie sind am ehesten für die antisandinistische Propaganda der Uno zugänglich. Die Uno geht auf die spezifischen Probleme der Atlantikküste nicht ein und kennt keine Autonomie für die Region. Deswegen arbeitet die Uno in Bluefields nach demselben Schema wie in der anderen Landeshälfte. „Wir bauen unsere Kampagne auf der Wirtschaftskrise und dem Militärdienst auf“, erklärt David Williams, einer der Uno-Vertreter in Bluefields, ganz unverblümt.

Die Situation aller anderen Parteien ist noch schwieriger. Johnny Simms, ein junger creole, versucht zur Zeit gerade die jüngste der linken Parteien in Bluefields heimisch zu machen: die „Bewegung der Revolutionären Einheit“ (MUR). „Ich gehe zu all meinen Bekannten in der Umgebung und sage ihnen, sie sollen für mich stimmen“, berichtet er, „aber von Sozialismus darf ich da nichts erzählen.“