Aseris und Armenier rüsten weiter auf im kaukasischen Krieg

■ In Armenien melden sich Tausende von Freiwilligen / Überfälle auf Waffen- und Munitionsdepots in beiden Ländern / Moskau befiehlt den Truppen härteres Vorgehen / Pogrome an Armeniern in Aserbaidschan gehen weiter

Berlin (afp/dpa/ap/taz) - Nach den antiarmenischen Pogromen in Aserbaidschan werden jetzt in Armenien junge Männer für eine eigene Armee rekrutiert. Freiwillige strömen in die Rekrutierungszentren, um sich für den Kampf gegen Aserbaidschan zu melden. Nach Augenzeugenberichten ist die Entschlossenheit in der armenischen Bevölkerung groß, ihre Landsleute in Aserbaidschan zu schützen.

Bei den Pogromen in Baku und armenischen Siedlungsgebieten in Aserbaidschan waren nach offiziellen Angaben 56 Menschen ermordet und 156 verletzt worden. Eine Abteilungsleiterin der aserbaidschanischen Nachrichtenagentur 'Aserinform‘ erklärte 'dpa‘, die Pogrome hätten auch am Dienstag noch angehalten. In Baku hätten Aseris in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch 64 Häuser und Wohnungen von Armeniern überfallen. Die von Moskau entsandten Truppen haben die Lage offenbar nicht unter Kontrolle. Ein Sprecher des Innenministeriums sagte gestern, den Truppen sei härteres Vorgehen befohlen worden.

Unter den Freiwilligen, die sich in Armenien sammeln und deren Zahl nun schon auf über 10.000 angewachsen sein soll, sind auch aktive Armeereservisten in Uniform. Sie werden zu Einheiten zusammenfaßt, die von Offizieren mit militärischem Drill geführt werden. Viele der Freiwilligen erscheinen bereits bewaffnet. Zur Waffenbeschaffung werden Armeedepots oder Depots des Innenministeriums wie in der Stadt Artaschad, wo über 30 Karabiner und 27 Gewehre und sogar Minenwerfer in die Hände einer aufgebrachten Menge fielen, ausgeraubt. Einige der Freiwilligen sind schon in die Armeniergebiete nach Aserbaidschan, dem sogenannten Latschinkorridor, einem Gebiet in Aserbaidschan, das an Armenien grenzt, entsandt worden, wo sie sich mit bewaffneten Aserbaidschanern schwere Gefechte liefern.

Aber auch auf aserbaidschanischer Seite werden die Freiwilligen mobilisiert. Bewaffnete überfallen Armeetransporte und versuchen, Waffen zu erbeuten. In der Stadt Kirowabad versuchten Bewaffnete den Militärflughafen einzunehmen und sieben Panzer der Armee zu erobern. In der Nähe der Stadt gelang es Aseris kurzzeitig, vier Panzer zu stehlen und mit ihnen davonzufahren. Auch Munitionszüge wurden überfallen. Wie die 'Komsomolskaja-Prawda‘ berichtete, feuerten Aseris mit zwei Flakgeschützen auf armenische Dörfer in der Region Manaschid in Nagorny -Karabach.

Am Dienstag abend protestierten über 700.000 Menschen in der armenischen Hauptstadt Eriwan gegen die Verhängung des Ausnahmezustandes in den Krisengebieten. Diese Maßnahme und die Entsendung weiterer sowjetischer Truppen von 11.000 Mann wurden von armenischer Seite als Parteinahme der Zentralregierung gegen die Armenier empfunden.

Die Entschlossenheit der armenischen Freiwilligen, ihre Landsleute zu verteidigen, ist durch Berichte über weitere Greueltaten in Aserbaidschan angeheizt worden. Nach der großen nationalistischen Kundgebung am letzten Samstag in Baku sollen Demonstranten zahlreiche Armenier mit Eisenstangen niedergeschlagen haben. Unter den Verletzten sollen auch viele ältere Menschen sein, die sich trotz der Pogrome im Februar und November 1988 entschlossen hatten, weiterhin in Aserbaidschan zu bleiben. Die Berichte der Opfer, denen die Flucht gelang, ähneln sich. „Mehrere Dutzend junge Männer kamen zu unserem Haus und hämmerten an die Tür. Offenbar hatte ihnen jemand die Adresse gegeben. Als wir uns weigerten, die Tür zu öffnen, sprengten sie sie mit Dynamit auf. Dann brachten sie uns auf die Straße und begannen, auf uns einzuschlagen.“

Von den rund 11.000 neuen sowjetischen Soldaten im Krisengebeit gehören 6.000 Mann zu den Sondertruppen des Innenministeriums, 5.000 zur regulären Armee. Zusammen mit den Sondertruppen, die bereits seit fast zwei Jahren im Kaukasus stationiert sind, befanden sich am Mittwoch 16.400 sowjetische Soldaten in der Region. Siehe auch Seite 9