: Der Chef persönlich fährt Golf
■ Ber der Wartburg-Werkstatt in der Eberswalder Straße / Hier werden Zwei- und Viertakter repariert West-Autos werden nur soweit hergerichtet, daß sie es bis zur nächsten Werkstatt in West-Berlin schaffen
Komplette Inspektion inklusive einer Überholung des Bremssystems für 131.06 Mark? Oder: Kupplung auswechseln und Kleinigkeiten reparieren für 209.29 Mark (Lohnkosten 59.85 Mark)? Solche Preise sind nur in Ost-Berlin möglich.
Und die stellen für den West-Autofahrer natürlich eine Versuchung dar, fallen sie durch den Umtauschkurs auch noch auf ein Drittel des Ausgangspreises. Zu KFZ-Meister Sigurd Winter in die Eberswalder Straße braucht man seine rollende Schrott-Halde mit westlichem Kennzeichen aber nicht zu bringen. Denn Winter ist Wartburg-Vertragshändler und macht sich zusammen mit seinen achteinhalb Mitarbeitern die Hände nur an zwei Fahrzeug-Typen schmutzig: am alten Wartburg Zweitakter (353“) und am neuen Viertakter (1,3“).
Westler sind zu ihm bisher noch nicht gekommen. Winter würde die DDR-fremden Fabrikate auch nur soweit reparieren, daß sie es bis zur nächsten Werkstatt in den Westen schaffen. Aber in der Wartburg-Vertragswerkstatt wird nicht einmal jeder Wartburg repariert. Besitzer eines „311“ oder „312“ „müssen sich einen zweiten Wagen als Ersatzteillager hinstellen“, erklärt der Meister in seinem blauen Kittel mit der „IFA„-Raute auf der Brusttasche. Winter bekommt für die Wagen mit der runden Form, die seit Ende der sechziger Jahre nicht mehr gebaut werden, vom Werk in Eisenach keine Teile mehr.
Wie es mit der Lieferung von Ersatzteilen aussieht, damit will der Werkstatt-Chef nicht so recht herausrücken. Seine Kunden bekämen ihr DDR-Mobil innerhalb von zwei Wochen repariert, manchmal müßte das Fahrzeug eben noch einmal in die Werkstatt, wenn das fehlende Ersatzteil geliefert worden ist. Ein Kollege von Winter gibt dazu gänzlich andere Auskünfte: Bei Werner Kraut, Betriebsleiter der „VEB Auto Service Berlin“ (ASB) in Lichtenberg (250 Mitarbeiter), betragen die Wartezeiten bei Unfallschäden über ein Jahr. Für eine Familie, die in dieser Woche ihr Auto in der Werkstatt für „PKW-Instandsetzung“ abgegeben hat, „ist der Sommerurlaub gelaufen“, so Kraut.
In den Werkstätten der ASB werden auch die „Import-Autos“ von DDR-Bürgern instandgesetzt - aber auch hier sollen Westler mit ihren Mazdas, Volvos oder Ladas noch nicht bei der Anmeldung um einen Termin gebeten haben. Es wäre auch sinnlos. „Unsere Kapazitäten sind völlig ausgelastet“, erzählt Kraut. Über 120 Blechbüchsen durchlaufen täglich die Werkhallen. Und auch in dem volkseigenen Betrieb hapert es mit der Ersatzteillieferung. Kraut will deshalb, daß West -Ersatzteile nicht mehr über den staatlichen Großhandel, sondern direkt geliefert werden. Der VEB-Leiter hat daran auch ein persönliches Interesse: Er fährt VW-Golf.
KFZ-Meister Sigurd Winter selbst fährt einen Wartburg. Mit seinem Zweitakter hat er in den letzten drei Jahren 6.000 Kilometer Straße befahren. „Wenn ich den ganzen Tag Autos repariere, habe ich doch keine Lust, nach Feierabend schon wieder drinne zu sitzen.“
Dirk Wildt
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