SYSTEMSTELLE/SEKRETÄR(IN)

■ Friedrich Kittler ag(it)ierte unter dem Diktat der Zeit: Frauen an der Schreibmaschine 1880-1930

Schreibkugel ist ein Ding gleich mir: von Eisen // Und doch leicht zu verdrehn zumal auf Reisen. // Geduld und Takt muss reichlich man besitzen // Und feine Fingerchen, uns zu benuetzen. (Nietzsche)

Der vergangene Dienstag bescherte einen Reisenden anderer Art. Wohl quotiert hatte sich eine versprengte Schar im gut getarnten Georg-Kolbe-Museum eingefunden. Frauen und Männer im Auditorium 1990. Was sich innerhalb der Reihe „Schauplatz Museum“ als Vortrag „Unter dem Diktat der Zeit“ angekündigt hatte, wurde zur Gänze eingelöst. Das Schweigen nach einer Dreiviertelstunde diskursiven Sperrfeuers hätte kaum besser gepackt sein können. Friedrich Kittler schließt schließlich, das war vorher klar, scharf. Das Ganze weniger vermittels, sondern mit Textverarbeitung, wie er eingangs nicht zu erwähnen vergaß, schreib: im Megahertzbereich. Diese (welche?) schlug dann mehr als einen Bogen von der „Homotextualität“ des 18.Jahrhunderts bis zur Computabilität des 20., die kein „Homo“ mehr zu präfixieren nötig hat.

Die Götezeit, Ausgangspunkt der kleinen Lagebesprechung, zeichnet sich vor allem dadurch aus, daß sie noch eine hat. Solange Dichterfürsten fehlertoleranten Eckermännern ihren Output übermitteln, behalten sie auch weiterhin die selbstgestrickten (Unter-) Hosen an. Eine erste Lockerung setzt dann ein, wenn die parallele Erfindung von Stenographie und Demokratie sowohl Fürsten als auch ihre Ordres in bürokratischer Form multipliziert. Also geschehen anno 1792 im französischen Parlament, in dem 16 seriell geschaltete Stenographen erstmals ihren Dienst versehen. Diktieren, laut F.Kittler laut F.Nietzsche, mitarbeiten an den Gedanken der anderen, bleibt jedoch bis dato noch fest in viriler Hand. Frauen oder Muttermünder bilden allenfalls die Public-Relations-Abteilung für das Schlußprodukt. Dem setzt das Ende des amerikanischen Bürgerkriegs sein Ende. Nachdem sie an der Massenproduktion von Krüppeln regen Anteil hatte, stellt die Waffenschmiede Remington um: Die ihrerseits für Krüppel entwickelte Prothese Schreibmaschine entpuppt sich als ziviler Verkaufsschlager und Diskursrevolver gleichermaßen. Ganze Heerscharen bislang be oder verhinderter Frauen übernehmen die „Systemstelle“ (General-)Sekretär. Das vormalige Handikap, vom Zugang zur Macht nahezu völlig abgeschnitten zu sein, erweist sich nun als hinreichender Vorteil zur Mobilmachung.

Nietzsche, seines Zeichens ausreichend versehrt („Minus 14 Dioptrien!“ F.K.) wagt als erster Philosoph den Anschlag auf die neue Tastatur. Und schreibt die Genealogie der Einschreibung selbst.

In Deutschland verschafft erst der Erste Weltkrieg, präziser das Hindenburgprogramm, den Frauen vollends Zugang zu den Schreibtischen, Kanzleien und Universitäten. Wo sie, wie Kittler anhand der schriftstellernden Schreibmaschinistinnen belegt, weiter aufzeichnen, was Aufzeichnen unter technischen Bedingungen besagt. Und zwar „Adornos Spruchweisheit in Prosa übersetzt“, daß es kein 19. Jahrhundert im 20. gibt.

Was uns freilich im 21. erwartet, beantwortet der schüchterne Schwule Alan Turing. Indem er in eigenwilliger Krakelschrift eine so simple Schreibmaschine konstruiert, daß sich mit ihr nicht nur der Zweite Weltkrieg entscheiden läßt. Mit der diskreten, im Binären operierenden „Universalen Turing-Maschine“ (UTM) liefert er das Modell von Berechenbarkeit an sich. Die UTM ist zum Schreiben und Lesen nicht mehr auf menschliche Hände und Köpfe angewiesen. Sie überführt Sprechen in Zählen und Zählen in Schalten, womit Entscheidungsprobleme oder meinethalber Prosaweisheiten überflüssig werden. Unter welchem Diktum dies als letzter Schluß - nun ja auch die Zeit wohl an der Reihe sein dürfte.

tonton & erika